Kolumba
Kolumbastraße 4
D-50667 Köln
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Stefan Kraus
Ein selbstverständlicher Ort für Kunst –
Zum Verhältnis Kunst und Museumsarchitektur

Vorläufiges Resümee einer Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Museumsarchitektur im Vorfeld zu Kolumba, dem geplanten Neubau des Diözesanmuseums Köln (Dezember 1994)

»Man wohnt irgendwo,
man macht irgendeine Arbeit,
man redet irgendwas daher,
man ernährt sich irgendwie,
man zieht sich irgend etwas an,
man sieht wahllos irgendwelche Bilder,
MAN LEBT IRGENDWIE,
MAN IST IRGENDWER...«

Mit diesen 1989 verfaßten »Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten« beschreibt der Filmemacher Wim Wenders mit Blick auf die Mode von Yohji Yamamoto, wie sehr die Identität des Menschen von seinem Bewußtsein der Dinge, die ihn umgeben, abhängig ist, wie sehr sie in Gefahr ist, wenn Orte, Arbeit, Gespräche, Nahrung, Kleidung und Bilder beliebig werden (in: The Act of Seeing, Frankfurt 1992, S.103ff.). Der Baugrund für »Kolumba«, für den geplanten Neubau des Diözesanmuseums, ist kein beliebiger Ort, ebensowenig wie ein Museum beliebige Bilder, beliebige Kunstwerke zeigt. Vielmehr ging der Entscheidung für diesen möglichen Bauplatz die Überlegung voraus, daß gerade die Einzigartigkeit des Geländes und seiner in architektonischen Fragmenten ablesbaren Geschichte in einer Wechselwirksamkeit mit bewußt plazierten künstlerischen Schwerpunkten zu einer geistesgeschichtlichen Standortbestimmung, zu Bewußt-Sein beim Betrachter führen kann. In Anbetracht der Chance zur Realisierung dieses Vorhabens am Ende einer Ära von Museumsneubauten, welche die internationale Architekturdiskussion der vergangenen fünfzehn Jahre beherrscht hat, soll vor der Verwirklichung konkreter architektonischer Entwürfe nach den Bedingungen für ein konstruktives Verhältnis von Kunst und Architektur gefragt werden, das die gewünschte Auseinandersetzung mit Ort und Werk beflügeln könnte.

Das Museum als Warenhaus
»In klimatisierten Museen erinnert sich Kunst ihrer Ursprünge nicht«, wußte der Butt der Geschichte im 1977 - also noch vor dem Boom von Museumsneubauten - erschienenen Roman von Günther Grass zu resümieren. Im gleichen Jahr wurde mit der Fertigstellung des Centre Pompidou die Idee der multimedialen Kulturfabrik prototyphaft realisiert, wurden die Ansprüche an die Aufgaben eines Museums auf ein bis dahin nicht gekanntes Maß ausgeweitet. Museen wandelten sich zu kulturellen Freiflächen und zu gesellschaftlichen Ereignisfeldern, die verschiedensten Ansprüchen genügen müssen und ihre Identität vordringlich als Ausstellungshäuser erlangen. Die Attraktivität des Museums wird seither mehr an der Vielzahl seiner Wechselausstellungen gemessen, als am Charakter seiner Sammlung. Die Eigendynamik dieser Entwicklung führte vielerorts zu einem zwanghaften, von vielen Beteiligten beklagten Ausstellungsaktionismus und damit einhergehend zur notwendig gewordenen Zusammenarbeit mit Sponsoren, die ihre eigenen Repräsentationsinteressen mit den von ihnen geförderten Projekten verbinden. Als Ergebnis dieser Entwicklung gilt der Besuch des Museums dem Spektakulären und nicht der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Facetten einer nur vordergründig bereits bekannten Sammlung. »Das Museum will nun aber seinen Besuchern das Betrachten auch zu einer angenehmen Beschäftigung machen und sorgt für seine Bequemlichkeit und Erholung durch die Erfrischungsräume und Teestuben, Wintergärten, Lese- und Schreibzimmer, Kunstausstellungen, Mittel, die im Grunde zu nichts anderem da sind, als das Publikum anzulocken.« Wie weit die Kommerzialisierung der Kunstausstellung in den meisten Museen fortgeschritten ist, erkennt man an diesem leicht veränderten Textzitat vom Beginn der Moderne, sofern man die Begriffe »Museum« durch »Warenhaus«, »Besucher« durch »Kunden« und »Betrachten« durch »Kaufen« ersetzt (Alfred Wiener, Das Warenhaus, in: Die Kunst in Industrie und Handel - Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, S.43ff.). Wie das Angebot in einem Warenhaus, ist auch das Sammlungskonzept der meisten Häuser traditionell auf Vollständigkeit - einer Epoche, Region, Künstlergemeinschaft usw. - hin ausgerichtet, die nicht nur im Depot sondern selbst in der Schausammlung dokumentiert sein soll. Ungeachtet der Problematik, die ein solcher Museumstyp als öffentliches Lager beinhaltet und der damit einhergehenden Tendenz zu immer größeren Museumsbauten, lassen sich einige wiederkehrende strukturelle Merkmale in der jüngeren Museumsarchitektur auf dieses Anliegen zurückführen. So wurden der Warenhausarchitektur vergleichbar, in vielen Neubauten die »Verkehrswege« aufgewertet. Es entstanden Eingangsbereiche, die Freizeitparks, Gesamtschulen, Krankenhäuser und Verwaltungsbauten assoziieren, überdimensionierte Treppenhäuser, breite Museumsstraßen und weit fluchtende Raumfolgen, die sich zwar architekturgeschichtlich auf entsprechende Vorbilder berufen können - etwa die Grand Galerie der höfischen Sammlung -, in dieser Bezugnahme jedoch außer acht lassen, daß die individuelle Rezeption des Kunstwerkes andere architektonische Gegebenheiten erfordert. Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Architektur ist folglich die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit voranzustellen.

Das lebende Museum
»Ist das Kunstwerk geschaffen, so braucht es nur noch das Empfangen durch den Betrachter, um seinen Sinn zu erfüllen. Die Kunst der Gegenwart bedarf der verstehenden, überlegten, verantwortungsbewußten Aufnahme und öffentlichen Darbietung, es gilt zu beobachten, zu kennen, zu urteilen, zu wählen, das Gewählte für das Museum durchzusetzen, richtig aufzustellen und nach Möglichkeit zum geistigen Eigentum des Besuchers zu machen«. Mit diesen so aktuell erscheinenden Sätzen eröffnete Ludwig Justi, Direktor der Berliner Nationalgalerie, 1930 den ersten Jahrgang der Zeitschrift »Museum der Gegenwart«, in der renommierte Museumsmitarbeiter drei Jahre lang, bis zum jähen Ende mit Beginn des »Dritten Reiches«, zeitgenössische Kunst und die Probleme ihrer Einbringung in das Museum erörterten. Mit der aus heutiger Sicht immer noch notwendigen Diskussion sollte die Reform zu einem »lebenden Museum« eingeleitet werden, in dem Kunst - gleich welcher Epoche - immer als gegenwärtig erfahrbar wäre, wie es Max Sauerlandt in der gleichen Zeitschrift beschrieb: »Ich vermag einen grundsätzlichen Unterschied zwischen alter und neuer Kunst überhaupt nicht anzuerkennen; wie das Heute erst aus dem Gestern als sein Zielpunkt sich ganz erklärt, so erklärt sich auch die Kunst der Vergangenheit erst aus der Kunst, die heute entsteht. Was nützen am Ende alle die in den Museen aufgehäuften Schätze an Kunstwerken der Vergangenheit, wenn sie nicht mit dazu helfen, das Gefühl für den Charakter und den eigenen Wert der künstlerischen Schöpfungen unserer Zeit produktiv zu machen.« Ein Museum, das die Kunst auf diese Weise lebendig erhält, indem es sie nicht ausschließlich als historisches Dokument und damit als Gegenstand von Information, sondern auch als gegenwärtige Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeit betrachtet, die als Schlüssel zur historischen Information dient, setzt die Bereitschaft des Besuchers zu aufgeschlossener Auseinandersetzung ebenso voraus, wie ein Autor die Bereitschaft des Lesenden. Das populäre Kunstmuseum ist gemessen an diesem Anspruch der Kunstvermittlung ein Widerspruch in sich, da es sich - um Popularität zu erlangen - an den Erwartungshaltungen seiner Besucher orientiert und nicht daran, inwieweit die Auseinandersetzung mit Kunst ihnen unerwartete Sichtweisen, Möglichkeiten und Horizonte erbringt. Es liegt in der Verantwortung des Museums, vordringlich die Bereitschaft zu produktivem Verhalten zu fördern. Die Didaktik einer Sammlung, welche die Offenheit der Auseinandersetzung nicht durch eine einseitig ikonographisch oder stilgeschichtliche Aufreihung oder durch vereinfachende literarische Erklärungsansätze behindern möchte, besteht zum einen in der quantitativen Reduktion der ausgestellten Werke und zum anderen in ihrer aufgrund verwandter künstlerischer Fragestellungen bewußt gewählten Gegenüberstellung. Im Hinblick auf die Architektur ergeben sich daraus eine Reihe von Bedingungen, die die Bauaufgabe Museum präzisieren und im Vergleich zu der Nutzungsvielfalt anderer Gebäude einfach erscheinen lassen.

Stichwort Einfachheit
Der Schweizer Künstler Remy Zaugg (geb. 1943) hat, motiviert durch sein Unbehagen an existierenden Museumsräumen, in seinem 1986 gehaltenen Vortrag »Das Kunstmuseum, das ich mir erträume oder Der Ort des Werkes und des Menschen« in vorbildlicher Weise das künstlerische Bewußtsein über die notwendigen Grundlagen einer Architektur für Kunst zergliedert (Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1987). Er hat eingehend die Beschaffenheit einer imaginären Architektur beschrieben, ihre Stellung im Stadtbild ebenso berücksichtigend, wie wesentliche Details, die Boden, Mauer und Decke sowie deren Verhältnis zueinander betreffen. Seine einleitenden Sätze können zugleich als Resümee gelesen werden: »Der Gegenstand, den ich mir erträume, ist einfach, ich würde sogar sagen, er ist trivial.« Um so erstaunlicher ist es, daß der Begriff der »Einfachheit« in den Ausschreibungstexten und in der Architekturkritik der meisten realisierten Museumsneubauten nur selten als auszeichnendes Kriterium fehlte. Selbst für sich im Material ekklektizistisch gebende Bauten, wie für den Anbau des Städelschen Kunstinstitutes in Frankfurt, oder für Räume, deren aufwendige Detaillösungen das Gesamtbild bestimmen, wie etwa im Diözesanmuseum in Eichstätt, wurde die Einfachheit der Architektur hervorgehoben. Offenbar geht das Verständnis um einfache Lösungen sehr weit auseinander, obschon es sich, ausgehend von der Aufgabe der Ausstellung von Kunstwerken, durchaus präzisieren läßt. Das Museum ist ein Ort der Wahrnehmung. Es ist ein Raum, eine Hülle für die Präsentation an sich nicht funktionaler, aber sinngebender Gegenstände. Sich umschauen, gewahr werden, betrachten, sehen, auch haptisch sehen, mit den Augen tastend über Oberflächen greifen, steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit ihnen, was das Hören, Riechen und Schmecken keineswegs ausschließt. Wahrnehmung beinhaltet als erinnertes Sehen auch die geistige Verarbeitung der sinnlichen Eindrücke. Aufgabe der Architektur ist es, diesem Prozeß im Wechsel von Konzentration und Entspannung zur notwendigen Intensität zu verhelfen. Eine Zurücknahme in der gestalterischen Eigenwertigkeit aller Details und notwendiger Einbauten - etwa Vitrinen, Sockel und Verglasungen - erscheint als unbedingte Voraussetzung, um das Miteinander und die Interpretationsvielfalt der Werke nicht zu behindern. Architektonische Gestaltung wird in diesem Kontext in der Reduktion auf Wesentliches, auf den in der Funktion begründeten Unterschied zum ebenfalls gestalteten, aber unfunktionalen Kunstwerk sichtbar. Funktionalität der Gestaltung und der verwendeten Materialien erfordert zunächst die Berücksichtigung aller restauratorischen und sicherheitstechnischen Anforderungen. Da sich im »Material Kunst« ästhetische Erscheinung und Bedeutung untrennbar miteinander verbinden, meint Funktionalität der Architektur darüber hinaus, daß keine Konkurrenz mit der materiellen Präsenz des Kunstwerkes herausgefordert wird. Dieser Aufgabe gerecht zu werden, verlangt nach einer dienenden Haltung, nach einem architektonischen Understatement, das nicht nach Auffälligkeiten und Effekten fragt, sondern nach unauffälliger Präzision und ruhiger Selbstbehauptung, verlangt nach einer Architektur, die sich ihrer Notwendigkeit wohl bewußt ist, da sie um die Abhängigkeit ihrer sinnlichen Qualität von den grundlegenden Faktoren des Bauens weiß, von Maß und Proportion, Licht, Materialität und von der Präzision der Ausführung. Intensität statt Neutralität Eine Museumsarchitektur kann sich deshalb nicht »neutral« zu den darin ausgestellten Kunstwerken verhalten. Selbst die gedachte »weiße Wand« ist gebaut ein konkretes Gegenüber und leistet eine Interpretation der Kunst, die sie trägt. Es gibt keine Möglichkeit der Auf- und Ausstellung von Kunstwerken, die nicht ein Verhältnis schafft und eine bestimmte Sichtweise fördert, während sie andere vernachlässigt oder nahezu ausschließt. Gerade das Bemühen um Neutralität der Räume und ihrer konstanten Bedingungen hat zu der häufig als Gegensatz zum Leben empfundenen Künstlichkeit vieler Museumsbauten geführt. Mit höchstem technischen Aufwand werden gleichbleibende Bedingungen nicht nur dort angestrebt, wo sie aus konservatorischen Gründen notwendig sind - etwa bei der Höhe der Luftfeuchtigkeit -, sondern auch in jenen Details, die das Erlebnis des Kunstwerkes geradezu verhindern. So ist kaum einzusehen, weshalb sich ein Kunstmuseum gleich zu welcher Jahreszeit und zu welchem Wetter durch völlig konstante Lichtqualitäten auszeichnen sollte, wo doch die wechselnde Lichtsituation eine grundsätzliche Voraussetzung zum Erleben von Malerei und Skulptur ist. Die komplizierte Umsetzung dieser Erkenntnis - wie sie etwa im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum beobachtet werden kann - mittels eines sich drehenden Deckensegmentes, in das Lichtstrahler eingelassen sind, verdeutlicht im Detail, wie weit sich das Museum als Bauaufgabe von selbstverständlicher Architektur entfernt hat. »Wir scheinen, wenn man dies alles bedenkt, in letzter Zeit wie betäubt vom elektrischen Licht und haben offenbar in erstaunlichem Ausmaß unsere Sensibilität verloren gegenüber den Nachteilen, die eine übertriebene Beleuchtung mit sich bringt«, wußte Tanizaki Jun'ichiro schon 1933 in seinem »Lob des Schattens« zu beklagen und verwies auf die Wahrnehmung der »Hell-Dunkel-Nuancen, die etwa leichten Stimmungsschwankungen des Betrachters entsprechen.« Das »lebendige Museum« - als solches ist der Neubau des Diözesanmuseums gedacht - darf also für sich in Anspruch nehmen, Privaträumen vergleichbar an dunkleren Novembertagen eine andere Stimmung zu bieten, als an einem wolkenlosen Sonnentag im Juni. Das leblose Licht der sogenannten Tageslichtleuchten verbietet sich auf der Grundlage des Erlebens ebenso, wie die übertriebene Verwendung von Lichtspots, deren Installation allenfalls dort Sinn macht, wo Waren zum Verkauf angeboten und aus ihrem Umfeld herausgehoben werden sollen. Im Lichtkegel eines Spots erscheint Malerei jedoch wie die Reproduktion ihrer selbst, verflacht Skulptur zum holzschnittartigen Wechsel von beleuchteten und verschatteten Partien. Für das Erlebnis des Werkes ist seine Beziehung zum Raum wesentlich, dessen Gestimmtheit für den Betrachter eine zum Werk hin vermittelnde Funktion erfüllt. Räumliche Wirkung setzt räumliches Licht voraus, das zeitlich bedingten Schwankungen unterliegt, die nicht ausgeglichen werden, etwa bei lockerer Bewölkung durch das ständige Auf und Ab automatisierter Jalousien. Die Kulisse technischer Betriebsamkeit, sich verselbständigender optischer Details und eigenartiger Geräusche, deren ineinandergreifende Funktion unsichtbar gesteuert wird, überlagert die Wahrnehmung und verhindert in »klimatisierten Museen« ein sich Einlassen auf das im Gegensatz dazu leblos und isoliert wirkende Material Kunst. Der Einsatz von Technik im Museum sollte also grundlegend überdacht und auf ein tatsächlich notwendiges Minimum reduziert sein. Die Vorteile einer eher traditionellen Bauphysik und der Berücksichtigung auch ökologisch günstiger Materialeigenschaften lassen sich selbst durch die aufwendigste Klimaanlage nicht aufwiegen. Gerade weil den hochtechnisierten, in ihrem Charakter immer gleichbleibenden und damit ausdruckslosen Räumen jeglicher Lebensbezug fehlt, erinnert sich darin »Kunst ihrer Ursprünge nicht.« Das Kennenlernen, die Erfahrung des Werkes, setzt den Wechsel, setzt die Veränderung einer Situation voraus. Auch die unterschiedliche Akustik der Räume ist dafür wesentlich. Etwa die verschieden weit gehende Abgrenzung des Drinnen vom Draußen, die Präsenz des umgebenden Alltags, dessen Teil die Auseinandersetzung mit Kunst doch sein soll, oder auch die Deutlichkeit der von den Besuchern selbst verursachten Geräusche, ihrer Schritte, ihrer Stimmen im Gespräch. Materialwechsel sind nicht aus dekorativen Erwägungen zu treffen, sondern mit höchster Präzision zur Herstellung eines räumlichen Kontextes, für den Wände, Böden und Decken maßgeblich sind. Ausstellungswände sind Gebrauchswände. Das Material der Wände muß dem beabsichtigten Wechsel der Präsentation Rechnung tragen, ohne daß diese selbst als Provisorium erscheint. Um dem Eindruck des Vorläufigen und Zufälligen entgegenzuwirken gehören Bilder im Museum unmittelbar an die Wand genagelt, nicht etwa mit Schnüren von einer Bilderleiste abgehangen. Die Wände müssen verläßlicher Träger der Werke sein und einen feststehenden Eindruck vermitteln. In Struktur und Faktur sollte das Material der Wände eben, gleichmäßig und von hoher Tiefenwirkung sein. Zu berücksichtigen ist auch, daß Wände als Hintergrund für vor ihnen stehende Objekte dienen. Der Fußboden ist bezogen auf seinen Materialcharakter für freistehende Plastik die Fortsetzung der Wand. Eine gleichmäßige Struktur ist ebenfalls bei den Böden erforderlich. Sie sollten im Material griffig sein und keine hervorgehobene Eigenfarbe besitzen. Wände, Böden und - vor allem bei Räumen mit geringer Höhe - Decken bilden das optische Umfeld. Für alle ist eine Struktur wesentlich, deren Zurückhaltung das Kunstwerk dominieren läßt. Im Hinblick auf den geplanten Neubau des Diözesanmuseums ergibt sich durch die angestrebte nicht chronologische Aufstellung der Werke, die vielmehr inhaltlichen Überlegungen und Korrespondenz-Situationen folgt, die Möglichkeit, in einem vielfach gestimmten Bau den jeweils eindrücklichsten Ort dafür zu wählen. Die Kunst findet - abgesehen von spezifisch ortsbezogenen Arbeiten - ihren Ort erst nach Fertigstellung der Architektur. Es geht nicht darum, daß in allen Museumsräumen alles stattfinden, alles ausgestellt werden kann. Es geht darum, daß die Intensität im Erleben verschiedener Räume und ihrer unterschiedlichen Gestimmtheiten zu einem konstruktiven Miteinander von Architektur und Kunstwerk führt und zur Bereitschaft für Verständnis. Die Anordnung der Ausstellungsräume sollte keinem starren Schema folgen, sich vielmehr als Folge kleinerer und größerer Räume darstellen. Die Umsetzung der Konzeption eines »lebendigen Museums« erfordert überdies eine Vielzahl von verbindenden Durchblicken, Raumachsen und offenen Raumfolgen, die Dialoge ermöglichen, ohne daß die Räume deshalb in sich unruhig wirken müssen. Der Besucher wird nicht auf nur einem möglichen Rundgang geführt, vielmehr können sich Haupt- und Nebenwege herausbilden, die bei wechselweiser Begehung die vielfältigen Beziehungen der ausgestellten Werke untereinander erlebbar werden lassen. Das auf den Eindruck wechselnden Tageslichts aufbauende Gesamtkonzept, könnte zumindest teilweise auch dort zur Anwendung kommen, wo kleinteilige Objekte in Vitrinen ausgestellt werden. Denkbar wären in einigen Räumen fensterartig in die Wand eingelassene Vitrinen verschiedener Größe, deren Belichtung von oberhalb mit Tageslicht erfolgt. In den meisten Museen werden von den Besuchern geeignete Sitzmöglichkeiten vermißt. Man ist gezwungen umherzulaufen, statt in der Gegenwart der Kunstwerke auszuruhen und sie eingehend zu betrachten. Ein »Museum der Nachdenklichkeit« wünscht sich unauffällige, zum Teil fest in die Architektur integrierte Sitzgelegenheiten. Oder ist es zu idealistisch gedacht, daß der Besucher in solchen Räumen den Wunsch haben könnte, sich länger - vielleicht auch lesend - darin aufzuhalten?

Die Gefahr der Ästhetisierung
Als Ausweg aus der Leblosigkeit des Museums und als Versuch einer erneuten Annäherung von Kunst und Leben wurden von Künstlern wie von Kunstvermittlern seit Anfang der siebziger Jahre Altbauten für Ausstellungen und Inszenierungen neu besetzt: Fabrikgebäude, Bahnhöfe, Geschäfts- und Privathäuser, mithin Bauten, in deren Architektur anhand hinterlassener Spuren ein eindeutiger Alltagsbezug ablesbar ist. Die sichtbare Benutzung der Räume vermittelt zu darin ausgestellten Kunstwerken, insofern ein Lebens-, oder ein Produktions-Zusammenhang erkennbar ist, der die Vorstellung des prozeßhaften Entstehens von Kunst befördert. Die Ästhetik des Verbrauchten und die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit dem Abseitigen, dem scheinbar Bedeutungslosen, als Gegenstand der Kunst, bedarf in solchen verlebten Gebäuden keiner Interpretation. Heinrich Böll muß an solche Zusammenhänge gedacht haben, als er 1963/64 in seinen Frankfurter Vorlesungen für die »Erscheinungen des Humanen« - etwa das Wohnen, die Freundschaft, die Religion, das Essen, die Kleidung - die Möglichkeit eines vertrauten Ortes in literarischen Werken aufzuzeigen versuchte, ausgehend davon, daß Sprache »den Menschen zu sich selbst, zu anderen, zu Gott in Beziehung setzen« kann, was zweifellos auch für die Sprache der bildenden Kunst gilt. Wo die zu Ausstellungsorten umfunktionierten Altbauten - häufig mit dem Ziel einer dauerhaften Institutionalisierung - umfangreich saniert wurden und damit eine ästhetische Überarbeitung erfuhren, gingen diese Zusammenhänge meist verloren. Erinnert sei an den massiven Protest der Künstler, mit dem die Sanierung und der Ausbau des Hamburger Bahnhofes in Berlin verhindert werden sollte: »Diese Überrestaurierung, diese Perfektion hat uns bei der Einrichtung der Ausstellung 'Einleuchten' sehr gestört. Ein häßlich glänzender Boden, der zu schwach ist, um Schweres zu tragen, ein 'Lampengeschäft' an der Decke, die wunderschöne Eisenkonstruktion perfekt übermalt [...]. Wir wollen, daß das im Hamburger Bahnhof nicht passiert. Daß dieser Ort ein Ort und Raum für Kunst bleibt. Und nicht durch postmodernen Kitsch ruiniert wird. [...] Nicht nur, aber auch als Alternative zu vielen Museumsbauten, die meist in sich schon recht komplizierte Skulpturen sind und der Kunst die Dekoration von einigen leeren Wänden übriglassen. Einfache klare Wände, einen schönen Boden, schönes Licht... das ist, was wir wollen und brauchen« (35 Künstler der Eröffnungsausstellung in den Hamburger Deichtorhallen in einem gemeinsam unterzeichneten Aufruf; undat. Typoskript). In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant zu beobachten, wie seit einiger Zeit das Bestreben der Mode dahin geht, dem Käufer die Patina der Dinge gleich mitzuliefern. Kleidungstücke, die vorgeben abgetragen zu sein, aber auch Geschäfte und Gaststätten als naturalistisches Bühnenbild, schaffen ein Ambiente, das Charakter und Geschichtlichkeit vermitteln will. Die Suche nach verlorener Identität (man ist versucht »nach der verlorenen Zeit« zu schreiben) wird kommerziell ausgewertet und mit gefälschter Authentizität bedient. Ein zeitgenössischer - also auch auf seine Zeit reagierender - Museumsneubau kann die Spuren von Geschichte nicht mitliefern, anderenfalls würde er zu einer historisierenden Kulisse geraten. Er kann aber durch seine Gestaltung und durch die Wahl der Materialien, die maßgeblich von deren gedanklich antizipierter Alterung bestimmt wird, offenlegen, wie weit er die zukünftigen Spuren seiner Benutzung zulassen, bzw. eine zeitlose Schönheit aus deren Wirkung ableiten möchte. Erst Architektur, die gebraucht werden darf, die den Menschen nicht als Störfaktor ihrer eigenen Ästhetik ausgrenzt, bindet sich ein, in den Lebenszusammenhang, der für das Verstehen des Kunstwerkes wesentlich ist.

Der selbstverständliche Ort
Für Kolumba gilt die Gefahr einer Ästhetisierung in besonderem Maße, da hier nicht nur der Erhalt von geschichtlichen Fragmenten, sondern deren Einbeziehung in den Kontext der Wahrnehmung und die Errichtung eines Neubaus, der die Komplexität des bereits Vorhandenen zusammenbindet, zur Aufgabe steht. Der Ort trägt als einziger in der Kölner Innenstadt bis heute die sichtbaren Spuren fast völliger Kriegszerstörung. Die 1950 fertiggestellte Kolumba-Kapelle, die von der zukünftigen Architektur umgeben würde, markiert den hoffnungsvollen Anfang des Wiederaufbaus der Stadt. Der Bodendenkmalpflege bedeutet Kolumba aufgrund der bis in römische Zeit zurückreichenden Architekturfragmente eines der spannendsten Grabungsgelände. Mittelalterliche Vorgängerbauten der spätgotischen Kirche sind in ihren Fundamenten ungewöhnlich klar ablesbar, zahlreiche tonnengewölbte Grüfte noch als Räume vorhanden, die zum Teil für Kunst nutzbar gemacht werden könnten. Das Vorhaben einer Neudefinition dieses Ortes, die dessen Geschichte fortschreibt, geschieht im Bewußtsein, daß im Bereich der Ausgrabung und der Kirchenruine jeder Eingriff ein Verlust an Authentizität bedeuten würde. Die Respektierung der Spuren von Geschichte betrifft die ausgegrabenen Umfassungsmauern des ersten nachrömischen Sakralraumes ebenso, wie die durch den Einsturz der Kirche verbogenen Moniereisen, die aus den Wänden hervorragen, oder die vermutlich in den 70er Jahren mit Betonsteinen improvisierte Vermauerung einer Türe an der nördlichen Sakristeiwand. Grundlage einer sinnvollen Einbeziehung dieser Substanz, die durch verschiedene Eingriffe auch nach der Kriegszerstörung weiter verändert wurde, ist die Berücksichtigung aller Details, was die Restaurierung und die Rekonstruktion einzelner Bereiche ausschließt. Die Fragmente erhalten ihre Bedeutung nicht nur als erhaltenswerte Ausstellungsstücke, sondern weitaus mehr in ihrer Gesamtheit als wesentlich für die Wahrnehmung des Kontinuums von Geschichte an diesem Ort. In der zukünftigen Nutzung werden Kunstwerke, die auf die vorhandene Situation reagieren und auf ihre Weise eine Spurensuche und -erhaltung betreiben, dieses Kontinuum ebenfalls verdeutlichen. Dies geschieht z.B. in den projektierten Arbeiten von Dorothee von Windheim und Bill Fontana, die ihr Material vor Ort in der gegenwärtigen Situation auffinden, um diese, in einer künstlerischen Arbeit transponiert, zukünftig präsent zu halten. Der zerstörte Ort erfährt durch die Einbringung der Kunstwerke eine Wiederherstellung jenseits der Rekonstruktion. Richard Serras Stahlskulptur The Drowned and the Safed (Die Untergegangenen und die Geretteten), deren Aufstellung in der ehemaligen Sakristei zur Identifikation des Neubaus erheblich beitragen wird, steht stellvertretend für dieses Programm: Dieser zweijochige Raum existiert im Backsteinmauerwerk des Erdgeschosses, das zur Straße hin über Kopfhöhe durchbrochen wird von einem zweibahnigen Fenster mit spätgotischem Fischblasen-Maßwerk. Da vom Kreuzgewölbe nur die Ansätze der Gurtbögen erhalten sind, ist der Blick nach oben offen. Man befindet sich unter freiem Himmel in einem von der Betriebsamkeit der Stadt abgeschirmten, wenngleich durch die Unmittelbarkeit der Geräusche mit ihr in Verbindung stehenden Innenraum. Unterhalb des Raumes existiert eine tonnengewölbte Gruft, in die hinein alle bei den Grabungsarbeiten gefundenen Gebeine, der in der Kirche bestatteten Toten überführt wurden. Die Aufstellung der Skulptur von Richard Serra ist unterhalb des ehemaligen Quergurtes in der Raummitte vorgesehen. Über der Gruft, auf dem erhaltenen Plattenboden der Sakristei stehend, klammern zwei sich gegenseitig an ihren Stirnseiten stützende Stahlwinkel den Raum und die Zeit zusammen. Die Selbstverständlichkeit dieses Ortes wäre dann hergestellt, wenn das Zusammenwirken seiner geschichtlichen Spuren mit einer unserer Zeit gemäßen Architektur und den korrespondierenden Kunstwerken keiner Erklärung bedarf, wenn der Besuch »auf« Kolumba zu einem ganzheitlichen Erlebnis wird, wenn die Wahrnehmung des Ortes und der Werke zu einem Nachdenken über Geschichte, über den Standort und die Möglichkeiten des Menschen führen, seine Zukunft verantwortlich zu gestalten. Die Architektur des zukünftigen Museums wäre dann Baukunst im wörtlichen Sinn.

Veröffentlicht als Heft 2 in der Reihe "wortwörtlich", Diözesanmuseum Köln, Köln 1995 (vergriffen)

© Diözesanmuseum Köln/ Kolumba 1995
Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit Quellenangabe
 
www.kolumba.de

KOLUMBA :: Texte :: Museumsarchitektur (1994)

Stefan Kraus
Ein selbstverständlicher Ort für Kunst –
Zum Verhältnis Kunst und Museumsarchitektur

Vorläufiges Resümee einer Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Museumsarchitektur im Vorfeld zu Kolumba, dem geplanten Neubau des Diözesanmuseums Köln (Dezember 1994)

»Man wohnt irgendwo,
man macht irgendeine Arbeit,
man redet irgendwas daher,
man ernährt sich irgendwie,
man zieht sich irgend etwas an,
man sieht wahllos irgendwelche Bilder,
MAN LEBT IRGENDWIE,
MAN IST IRGENDWER...«

Mit diesen 1989 verfaßten »Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten« beschreibt der Filmemacher Wim Wenders mit Blick auf die Mode von Yohji Yamamoto, wie sehr die Identität des Menschen von seinem Bewußtsein der Dinge, die ihn umgeben, abhängig ist, wie sehr sie in Gefahr ist, wenn Orte, Arbeit, Gespräche, Nahrung, Kleidung und Bilder beliebig werden (in: The Act of Seeing, Frankfurt 1992, S.103ff.). Der Baugrund für »Kolumba«, für den geplanten Neubau des Diözesanmuseums, ist kein beliebiger Ort, ebensowenig wie ein Museum beliebige Bilder, beliebige Kunstwerke zeigt. Vielmehr ging der Entscheidung für diesen möglichen Bauplatz die Überlegung voraus, daß gerade die Einzigartigkeit des Geländes und seiner in architektonischen Fragmenten ablesbaren Geschichte in einer Wechselwirksamkeit mit bewußt plazierten künstlerischen Schwerpunkten zu einer geistesgeschichtlichen Standortbestimmung, zu Bewußt-Sein beim Betrachter führen kann. In Anbetracht der Chance zur Realisierung dieses Vorhabens am Ende einer Ära von Museumsneubauten, welche die internationale Architekturdiskussion der vergangenen fünfzehn Jahre beherrscht hat, soll vor der Verwirklichung konkreter architektonischer Entwürfe nach den Bedingungen für ein konstruktives Verhältnis von Kunst und Architektur gefragt werden, das die gewünschte Auseinandersetzung mit Ort und Werk beflügeln könnte.

Das Museum als Warenhaus
»In klimatisierten Museen erinnert sich Kunst ihrer Ursprünge nicht«, wußte der Butt der Geschichte im 1977 - also noch vor dem Boom von Museumsneubauten - erschienenen Roman von Günther Grass zu resümieren. Im gleichen Jahr wurde mit der Fertigstellung des Centre Pompidou die Idee der multimedialen Kulturfabrik prototyphaft realisiert, wurden die Ansprüche an die Aufgaben eines Museums auf ein bis dahin nicht gekanntes Maß ausgeweitet. Museen wandelten sich zu kulturellen Freiflächen und zu gesellschaftlichen Ereignisfeldern, die verschiedensten Ansprüchen genügen müssen und ihre Identität vordringlich als Ausstellungshäuser erlangen. Die Attraktivität des Museums wird seither mehr an der Vielzahl seiner Wechselausstellungen gemessen, als am Charakter seiner Sammlung. Die Eigendynamik dieser Entwicklung führte vielerorts zu einem zwanghaften, von vielen Beteiligten beklagten Ausstellungsaktionismus und damit einhergehend zur notwendig gewordenen Zusammenarbeit mit Sponsoren, die ihre eigenen Repräsentationsinteressen mit den von ihnen geförderten Projekten verbinden. Als Ergebnis dieser Entwicklung gilt der Besuch des Museums dem Spektakulären und nicht der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Facetten einer nur vordergründig bereits bekannten Sammlung. »Das Museum will nun aber seinen Besuchern das Betrachten auch zu einer angenehmen Beschäftigung machen und sorgt für seine Bequemlichkeit und Erholung durch die Erfrischungsräume und Teestuben, Wintergärten, Lese- und Schreibzimmer, Kunstausstellungen, Mittel, die im Grunde zu nichts anderem da sind, als das Publikum anzulocken.« Wie weit die Kommerzialisierung der Kunstausstellung in den meisten Museen fortgeschritten ist, erkennt man an diesem leicht veränderten Textzitat vom Beginn der Moderne, sofern man die Begriffe »Museum« durch »Warenhaus«, »Besucher« durch »Kunden« und »Betrachten« durch »Kaufen« ersetzt (Alfred Wiener, Das Warenhaus, in: Die Kunst in Industrie und Handel - Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, S.43ff.). Wie das Angebot in einem Warenhaus, ist auch das Sammlungskonzept der meisten Häuser traditionell auf Vollständigkeit - einer Epoche, Region, Künstlergemeinschaft usw. - hin ausgerichtet, die nicht nur im Depot sondern selbst in der Schausammlung dokumentiert sein soll. Ungeachtet der Problematik, die ein solcher Museumstyp als öffentliches Lager beinhaltet und der damit einhergehenden Tendenz zu immer größeren Museumsbauten, lassen sich einige wiederkehrende strukturelle Merkmale in der jüngeren Museumsarchitektur auf dieses Anliegen zurückführen. So wurden der Warenhausarchitektur vergleichbar, in vielen Neubauten die »Verkehrswege« aufgewertet. Es entstanden Eingangsbereiche, die Freizeitparks, Gesamtschulen, Krankenhäuser und Verwaltungsbauten assoziieren, überdimensionierte Treppenhäuser, breite Museumsstraßen und weit fluchtende Raumfolgen, die sich zwar architekturgeschichtlich auf entsprechende Vorbilder berufen können - etwa die Grand Galerie der höfischen Sammlung -, in dieser Bezugnahme jedoch außer acht lassen, daß die individuelle Rezeption des Kunstwerkes andere architektonische Gegebenheiten erfordert. Überlegungen zum Verhältnis von Kunst und Architektur ist folglich die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit voranzustellen.

Das lebende Museum
»Ist das Kunstwerk geschaffen, so braucht es nur noch das Empfangen durch den Betrachter, um seinen Sinn zu erfüllen. Die Kunst der Gegenwart bedarf der verstehenden, überlegten, verantwortungsbewußten Aufnahme und öffentlichen Darbietung, es gilt zu beobachten, zu kennen, zu urteilen, zu wählen, das Gewählte für das Museum durchzusetzen, richtig aufzustellen und nach Möglichkeit zum geistigen Eigentum des Besuchers zu machen«. Mit diesen so aktuell erscheinenden Sätzen eröffnete Ludwig Justi, Direktor der Berliner Nationalgalerie, 1930 den ersten Jahrgang der Zeitschrift »Museum der Gegenwart«, in der renommierte Museumsmitarbeiter drei Jahre lang, bis zum jähen Ende mit Beginn des »Dritten Reiches«, zeitgenössische Kunst und die Probleme ihrer Einbringung in das Museum erörterten. Mit der aus heutiger Sicht immer noch notwendigen Diskussion sollte die Reform zu einem »lebenden Museum« eingeleitet werden, in dem Kunst - gleich welcher Epoche - immer als gegenwärtig erfahrbar wäre, wie es Max Sauerlandt in der gleichen Zeitschrift beschrieb: »Ich vermag einen grundsätzlichen Unterschied zwischen alter und neuer Kunst überhaupt nicht anzuerkennen; wie das Heute erst aus dem Gestern als sein Zielpunkt sich ganz erklärt, so erklärt sich auch die Kunst der Vergangenheit erst aus der Kunst, die heute entsteht. Was nützen am Ende alle die in den Museen aufgehäuften Schätze an Kunstwerken der Vergangenheit, wenn sie nicht mit dazu helfen, das Gefühl für den Charakter und den eigenen Wert der künstlerischen Schöpfungen unserer Zeit produktiv zu machen.« Ein Museum, das die Kunst auf diese Weise lebendig erhält, indem es sie nicht ausschließlich als historisches Dokument und damit als Gegenstand von Information, sondern auch als gegenwärtige Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeit betrachtet, die als Schlüssel zur historischen Information dient, setzt die Bereitschaft des Besuchers zu aufgeschlossener Auseinandersetzung ebenso voraus, wie ein Autor die Bereitschaft des Lesenden. Das populäre Kunstmuseum ist gemessen an diesem Anspruch der Kunstvermittlung ein Widerspruch in sich, da es sich - um Popularität zu erlangen - an den Erwartungshaltungen seiner Besucher orientiert und nicht daran, inwieweit die Auseinandersetzung mit Kunst ihnen unerwartete Sichtweisen, Möglichkeiten und Horizonte erbringt. Es liegt in der Verantwortung des Museums, vordringlich die Bereitschaft zu produktivem Verhalten zu fördern. Die Didaktik einer Sammlung, welche die Offenheit der Auseinandersetzung nicht durch eine einseitig ikonographisch oder stilgeschichtliche Aufreihung oder durch vereinfachende literarische Erklärungsansätze behindern möchte, besteht zum einen in der quantitativen Reduktion der ausgestellten Werke und zum anderen in ihrer aufgrund verwandter künstlerischer Fragestellungen bewußt gewählten Gegenüberstellung. Im Hinblick auf die Architektur ergeben sich daraus eine Reihe von Bedingungen, die die Bauaufgabe Museum präzisieren und im Vergleich zu der Nutzungsvielfalt anderer Gebäude einfach erscheinen lassen.

Stichwort Einfachheit
Der Schweizer Künstler Remy Zaugg (geb. 1943) hat, motiviert durch sein Unbehagen an existierenden Museumsräumen, in seinem 1986 gehaltenen Vortrag »Das Kunstmuseum, das ich mir erträume oder Der Ort des Werkes und des Menschen« in vorbildlicher Weise das künstlerische Bewußtsein über die notwendigen Grundlagen einer Architektur für Kunst zergliedert (Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1987). Er hat eingehend die Beschaffenheit einer imaginären Architektur beschrieben, ihre Stellung im Stadtbild ebenso berücksichtigend, wie wesentliche Details, die Boden, Mauer und Decke sowie deren Verhältnis zueinander betreffen. Seine einleitenden Sätze können zugleich als Resümee gelesen werden: »Der Gegenstand, den ich mir erträume, ist einfach, ich würde sogar sagen, er ist trivial.« Um so erstaunlicher ist es, daß der Begriff der »Einfachheit« in den Ausschreibungstexten und in der Architekturkritik der meisten realisierten Museumsneubauten nur selten als auszeichnendes Kriterium fehlte. Selbst für sich im Material ekklektizistisch gebende Bauten, wie für den Anbau des Städelschen Kunstinstitutes in Frankfurt, oder für Räume, deren aufwendige Detaillösungen das Gesamtbild bestimmen, wie etwa im Diözesanmuseum in Eichstätt, wurde die Einfachheit der Architektur hervorgehoben. Offenbar geht das Verständnis um einfache Lösungen sehr weit auseinander, obschon es sich, ausgehend von der Aufgabe der Ausstellung von Kunstwerken, durchaus präzisieren läßt. Das Museum ist ein Ort der Wahrnehmung. Es ist ein Raum, eine Hülle für die Präsentation an sich nicht funktionaler, aber sinngebender Gegenstände. Sich umschauen, gewahr werden, betrachten, sehen, auch haptisch sehen, mit den Augen tastend über Oberflächen greifen, steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit ihnen, was das Hören, Riechen und Schmecken keineswegs ausschließt. Wahrnehmung beinhaltet als erinnertes Sehen auch die geistige Verarbeitung der sinnlichen Eindrücke. Aufgabe der Architektur ist es, diesem Prozeß im Wechsel von Konzentration und Entspannung zur notwendigen Intensität zu verhelfen. Eine Zurücknahme in der gestalterischen Eigenwertigkeit aller Details und notwendiger Einbauten - etwa Vitrinen, Sockel und Verglasungen - erscheint als unbedingte Voraussetzung, um das Miteinander und die Interpretationsvielfalt der Werke nicht zu behindern. Architektonische Gestaltung wird in diesem Kontext in der Reduktion auf Wesentliches, auf den in der Funktion begründeten Unterschied zum ebenfalls gestalteten, aber unfunktionalen Kunstwerk sichtbar. Funktionalität der Gestaltung und der verwendeten Materialien erfordert zunächst die Berücksichtigung aller restauratorischen und sicherheitstechnischen Anforderungen. Da sich im »Material Kunst« ästhetische Erscheinung und Bedeutung untrennbar miteinander verbinden, meint Funktionalität der Architektur darüber hinaus, daß keine Konkurrenz mit der materiellen Präsenz des Kunstwerkes herausgefordert wird. Dieser Aufgabe gerecht zu werden, verlangt nach einer dienenden Haltung, nach einem architektonischen Understatement, das nicht nach Auffälligkeiten und Effekten fragt, sondern nach unauffälliger Präzision und ruhiger Selbstbehauptung, verlangt nach einer Architektur, die sich ihrer Notwendigkeit wohl bewußt ist, da sie um die Abhängigkeit ihrer sinnlichen Qualität von den grundlegenden Faktoren des Bauens weiß, von Maß und Proportion, Licht, Materialität und von der Präzision der Ausführung. Intensität statt Neutralität Eine Museumsarchitektur kann sich deshalb nicht »neutral« zu den darin ausgestellten Kunstwerken verhalten. Selbst die gedachte »weiße Wand« ist gebaut ein konkretes Gegenüber und leistet eine Interpretation der Kunst, die sie trägt. Es gibt keine Möglichkeit der Auf- und Ausstellung von Kunstwerken, die nicht ein Verhältnis schafft und eine bestimmte Sichtweise fördert, während sie andere vernachlässigt oder nahezu ausschließt. Gerade das Bemühen um Neutralität der Räume und ihrer konstanten Bedingungen hat zu der häufig als Gegensatz zum Leben empfundenen Künstlichkeit vieler Museumsbauten geführt. Mit höchstem technischen Aufwand werden gleichbleibende Bedingungen nicht nur dort angestrebt, wo sie aus konservatorischen Gründen notwendig sind - etwa bei der Höhe der Luftfeuchtigkeit -, sondern auch in jenen Details, die das Erlebnis des Kunstwerkes geradezu verhindern. So ist kaum einzusehen, weshalb sich ein Kunstmuseum gleich zu welcher Jahreszeit und zu welchem Wetter durch völlig konstante Lichtqualitäten auszeichnen sollte, wo doch die wechselnde Lichtsituation eine grundsätzliche Voraussetzung zum Erleben von Malerei und Skulptur ist. Die komplizierte Umsetzung dieser Erkenntnis - wie sie etwa im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum beobachtet werden kann - mittels eines sich drehenden Deckensegmentes, in das Lichtstrahler eingelassen sind, verdeutlicht im Detail, wie weit sich das Museum als Bauaufgabe von selbstverständlicher Architektur entfernt hat. »Wir scheinen, wenn man dies alles bedenkt, in letzter Zeit wie betäubt vom elektrischen Licht und haben offenbar in erstaunlichem Ausmaß unsere Sensibilität verloren gegenüber den Nachteilen, die eine übertriebene Beleuchtung mit sich bringt«, wußte Tanizaki Jun'ichiro schon 1933 in seinem »Lob des Schattens« zu beklagen und verwies auf die Wahrnehmung der »Hell-Dunkel-Nuancen, die etwa leichten Stimmungsschwankungen des Betrachters entsprechen.« Das »lebendige Museum« - als solches ist der Neubau des Diözesanmuseums gedacht - darf also für sich in Anspruch nehmen, Privaträumen vergleichbar an dunkleren Novembertagen eine andere Stimmung zu bieten, als an einem wolkenlosen Sonnentag im Juni. Das leblose Licht der sogenannten Tageslichtleuchten verbietet sich auf der Grundlage des Erlebens ebenso, wie die übertriebene Verwendung von Lichtspots, deren Installation allenfalls dort Sinn macht, wo Waren zum Verkauf angeboten und aus ihrem Umfeld herausgehoben werden sollen. Im Lichtkegel eines Spots erscheint Malerei jedoch wie die Reproduktion ihrer selbst, verflacht Skulptur zum holzschnittartigen Wechsel von beleuchteten und verschatteten Partien. Für das Erlebnis des Werkes ist seine Beziehung zum Raum wesentlich, dessen Gestimmtheit für den Betrachter eine zum Werk hin vermittelnde Funktion erfüllt. Räumliche Wirkung setzt räumliches Licht voraus, das zeitlich bedingten Schwankungen unterliegt, die nicht ausgeglichen werden, etwa bei lockerer Bewölkung durch das ständige Auf und Ab automatisierter Jalousien. Die Kulisse technischer Betriebsamkeit, sich verselbständigender optischer Details und eigenartiger Geräusche, deren ineinandergreifende Funktion unsichtbar gesteuert wird, überlagert die Wahrnehmung und verhindert in »klimatisierten Museen« ein sich Einlassen auf das im Gegensatz dazu leblos und isoliert wirkende Material Kunst. Der Einsatz von Technik im Museum sollte also grundlegend überdacht und auf ein tatsächlich notwendiges Minimum reduziert sein. Die Vorteile einer eher traditionellen Bauphysik und der Berücksichtigung auch ökologisch günstiger Materialeigenschaften lassen sich selbst durch die aufwendigste Klimaanlage nicht aufwiegen. Gerade weil den hochtechnisierten, in ihrem Charakter immer gleichbleibenden und damit ausdruckslosen Räumen jeglicher Lebensbezug fehlt, erinnert sich darin »Kunst ihrer Ursprünge nicht.« Das Kennenlernen, die Erfahrung des Werkes, setzt den Wechsel, setzt die Veränderung einer Situation voraus. Auch die unterschiedliche Akustik der Räume ist dafür wesentlich. Etwa die verschieden weit gehende Abgrenzung des Drinnen vom Draußen, die Präsenz des umgebenden Alltags, dessen Teil die Auseinandersetzung mit Kunst doch sein soll, oder auch die Deutlichkeit der von den Besuchern selbst verursachten Geräusche, ihrer Schritte, ihrer Stimmen im Gespräch. Materialwechsel sind nicht aus dekorativen Erwägungen zu treffen, sondern mit höchster Präzision zur Herstellung eines räumlichen Kontextes, für den Wände, Böden und Decken maßgeblich sind. Ausstellungswände sind Gebrauchswände. Das Material der Wände muß dem beabsichtigten Wechsel der Präsentation Rechnung tragen, ohne daß diese selbst als Provisorium erscheint. Um dem Eindruck des Vorläufigen und Zufälligen entgegenzuwirken gehören Bilder im Museum unmittelbar an die Wand genagelt, nicht etwa mit Schnüren von einer Bilderleiste abgehangen. Die Wände müssen verläßlicher Träger der Werke sein und einen feststehenden Eindruck vermitteln. In Struktur und Faktur sollte das Material der Wände eben, gleichmäßig und von hoher Tiefenwirkung sein. Zu berücksichtigen ist auch, daß Wände als Hintergrund für vor ihnen stehende Objekte dienen. Der Fußboden ist bezogen auf seinen Materialcharakter für freistehende Plastik die Fortsetzung der Wand. Eine gleichmäßige Struktur ist ebenfalls bei den Böden erforderlich. Sie sollten im Material griffig sein und keine hervorgehobene Eigenfarbe besitzen. Wände, Böden und - vor allem bei Räumen mit geringer Höhe - Decken bilden das optische Umfeld. Für alle ist eine Struktur wesentlich, deren Zurückhaltung das Kunstwerk dominieren läßt. Im Hinblick auf den geplanten Neubau des Diözesanmuseums ergibt sich durch die angestrebte nicht chronologische Aufstellung der Werke, die vielmehr inhaltlichen Überlegungen und Korrespondenz-Situationen folgt, die Möglichkeit, in einem vielfach gestimmten Bau den jeweils eindrücklichsten Ort dafür zu wählen. Die Kunst findet - abgesehen von spezifisch ortsbezogenen Arbeiten - ihren Ort erst nach Fertigstellung der Architektur. Es geht nicht darum, daß in allen Museumsräumen alles stattfinden, alles ausgestellt werden kann. Es geht darum, daß die Intensität im Erleben verschiedener Räume und ihrer unterschiedlichen Gestimmtheiten zu einem konstruktiven Miteinander von Architektur und Kunstwerk führt und zur Bereitschaft für Verständnis. Die Anordnung der Ausstellungsräume sollte keinem starren Schema folgen, sich vielmehr als Folge kleinerer und größerer Räume darstellen. Die Umsetzung der Konzeption eines »lebendigen Museums« erfordert überdies eine Vielzahl von verbindenden Durchblicken, Raumachsen und offenen Raumfolgen, die Dialoge ermöglichen, ohne daß die Räume deshalb in sich unruhig wirken müssen. Der Besucher wird nicht auf nur einem möglichen Rundgang geführt, vielmehr können sich Haupt- und Nebenwege herausbilden, die bei wechselweiser Begehung die vielfältigen Beziehungen der ausgestellten Werke untereinander erlebbar werden lassen. Das auf den Eindruck wechselnden Tageslichts aufbauende Gesamtkonzept, könnte zumindest teilweise auch dort zur Anwendung kommen, wo kleinteilige Objekte in Vitrinen ausgestellt werden. Denkbar wären in einigen Räumen fensterartig in die Wand eingelassene Vitrinen verschiedener Größe, deren Belichtung von oberhalb mit Tageslicht erfolgt. In den meisten Museen werden von den Besuchern geeignete Sitzmöglichkeiten vermißt. Man ist gezwungen umherzulaufen, statt in der Gegenwart der Kunstwerke auszuruhen und sie eingehend zu betrachten. Ein »Museum der Nachdenklichkeit« wünscht sich unauffällige, zum Teil fest in die Architektur integrierte Sitzgelegenheiten. Oder ist es zu idealistisch gedacht, daß der Besucher in solchen Räumen den Wunsch haben könnte, sich länger - vielleicht auch lesend - darin aufzuhalten?

Die Gefahr der Ästhetisierung
Als Ausweg aus der Leblosigkeit des Museums und als Versuch einer erneuten Annäherung von Kunst und Leben wurden von Künstlern wie von Kunstvermittlern seit Anfang der siebziger Jahre Altbauten für Ausstellungen und Inszenierungen neu besetzt: Fabrikgebäude, Bahnhöfe, Geschäfts- und Privathäuser, mithin Bauten, in deren Architektur anhand hinterlassener Spuren ein eindeutiger Alltagsbezug ablesbar ist. Die sichtbare Benutzung der Räume vermittelt zu darin ausgestellten Kunstwerken, insofern ein Lebens-, oder ein Produktions-Zusammenhang erkennbar ist, der die Vorstellung des prozeßhaften Entstehens von Kunst befördert. Die Ästhetik des Verbrauchten und die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit dem Abseitigen, dem scheinbar Bedeutungslosen, als Gegenstand der Kunst, bedarf in solchen verlebten Gebäuden keiner Interpretation. Heinrich Böll muß an solche Zusammenhänge gedacht haben, als er 1963/64 in seinen Frankfurter Vorlesungen für die »Erscheinungen des Humanen« - etwa das Wohnen, die Freundschaft, die Religion, das Essen, die Kleidung - die Möglichkeit eines vertrauten Ortes in literarischen Werken aufzuzeigen versuchte, ausgehend davon, daß Sprache »den Menschen zu sich selbst, zu anderen, zu Gott in Beziehung setzen« kann, was zweifellos auch für die Sprache der bildenden Kunst gilt. Wo die zu Ausstellungsorten umfunktionierten Altbauten - häufig mit dem Ziel einer dauerhaften Institutionalisierung - umfangreich saniert wurden und damit eine ästhetische Überarbeitung erfuhren, gingen diese Zusammenhänge meist verloren. Erinnert sei an den massiven Protest der Künstler, mit dem die Sanierung und der Ausbau des Hamburger Bahnhofes in Berlin verhindert werden sollte: »Diese Überrestaurierung, diese Perfektion hat uns bei der Einrichtung der Ausstellung 'Einleuchten' sehr gestört. Ein häßlich glänzender Boden, der zu schwach ist, um Schweres zu tragen, ein 'Lampengeschäft' an der Decke, die wunderschöne Eisenkonstruktion perfekt übermalt [...]. Wir wollen, daß das im Hamburger Bahnhof nicht passiert. Daß dieser Ort ein Ort und Raum für Kunst bleibt. Und nicht durch postmodernen Kitsch ruiniert wird. [...] Nicht nur, aber auch als Alternative zu vielen Museumsbauten, die meist in sich schon recht komplizierte Skulpturen sind und der Kunst die Dekoration von einigen leeren Wänden übriglassen. Einfache klare Wände, einen schönen Boden, schönes Licht... das ist, was wir wollen und brauchen« (35 Künstler der Eröffnungsausstellung in den Hamburger Deichtorhallen in einem gemeinsam unterzeichneten Aufruf; undat. Typoskript). In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant zu beobachten, wie seit einiger Zeit das Bestreben der Mode dahin geht, dem Käufer die Patina der Dinge gleich mitzuliefern. Kleidungstücke, die vorgeben abgetragen zu sein, aber auch Geschäfte und Gaststätten als naturalistisches Bühnenbild, schaffen ein Ambiente, das Charakter und Geschichtlichkeit vermitteln will. Die Suche nach verlorener Identität (man ist versucht »nach der verlorenen Zeit« zu schreiben) wird kommerziell ausgewertet und mit gefälschter Authentizität bedient. Ein zeitgenössischer - also auch auf seine Zeit reagierender - Museumsneubau kann die Spuren von Geschichte nicht mitliefern, anderenfalls würde er zu einer historisierenden Kulisse geraten. Er kann aber durch seine Gestaltung und durch die Wahl der Materialien, die maßgeblich von deren gedanklich antizipierter Alterung bestimmt wird, offenlegen, wie weit er die zukünftigen Spuren seiner Benutzung zulassen, bzw. eine zeitlose Schönheit aus deren Wirkung ableiten möchte. Erst Architektur, die gebraucht werden darf, die den Menschen nicht als Störfaktor ihrer eigenen Ästhetik ausgrenzt, bindet sich ein, in den Lebenszusammenhang, der für das Verstehen des Kunstwerkes wesentlich ist.

Der selbstverständliche Ort
Für Kolumba gilt die Gefahr einer Ästhetisierung in besonderem Maße, da hier nicht nur der Erhalt von geschichtlichen Fragmenten, sondern deren Einbeziehung in den Kontext der Wahrnehmung und die Errichtung eines Neubaus, der die Komplexität des bereits Vorhandenen zusammenbindet, zur Aufgabe steht. Der Ort trägt als einziger in der Kölner Innenstadt bis heute die sichtbaren Spuren fast völliger Kriegszerstörung. Die 1950 fertiggestellte Kolumba-Kapelle, die von der zukünftigen Architektur umgeben würde, markiert den hoffnungsvollen Anfang des Wiederaufbaus der Stadt. Der Bodendenkmalpflege bedeutet Kolumba aufgrund der bis in römische Zeit zurückreichenden Architekturfragmente eines der spannendsten Grabungsgelände. Mittelalterliche Vorgängerbauten der spätgotischen Kirche sind in ihren Fundamenten ungewöhnlich klar ablesbar, zahlreiche tonnengewölbte Grüfte noch als Räume vorhanden, die zum Teil für Kunst nutzbar gemacht werden könnten. Das Vorhaben einer Neudefinition dieses Ortes, die dessen Geschichte fortschreibt, geschieht im Bewußtsein, daß im Bereich der Ausgrabung und der Kirchenruine jeder Eingriff ein Verlust an Authentizität bedeuten würde. Die Respektierung der Spuren von Geschichte betrifft die ausgegrabenen Umfassungsmauern des ersten nachrömischen Sakralraumes ebenso, wie die durch den Einsturz der Kirche verbogenen Moniereisen, die aus den Wänden hervorragen, oder die vermutlich in den 70er Jahren mit Betonsteinen improvisierte Vermauerung einer Türe an der nördlichen Sakristeiwand. Grundlage einer sinnvollen Einbeziehung dieser Substanz, die durch verschiedene Eingriffe auch nach der Kriegszerstörung weiter verändert wurde, ist die Berücksichtigung aller Details, was die Restaurierung und die Rekonstruktion einzelner Bereiche ausschließt. Die Fragmente erhalten ihre Bedeutung nicht nur als erhaltenswerte Ausstellungsstücke, sondern weitaus mehr in ihrer Gesamtheit als wesentlich für die Wahrnehmung des Kontinuums von Geschichte an diesem Ort. In der zukünftigen Nutzung werden Kunstwerke, die auf die vorhandene Situation reagieren und auf ihre Weise eine Spurensuche und -erhaltung betreiben, dieses Kontinuum ebenfalls verdeutlichen. Dies geschieht z.B. in den projektierten Arbeiten von Dorothee von Windheim und Bill Fontana, die ihr Material vor Ort in der gegenwärtigen Situation auffinden, um diese, in einer künstlerischen Arbeit transponiert, zukünftig präsent zu halten. Der zerstörte Ort erfährt durch die Einbringung der Kunstwerke eine Wiederherstellung jenseits der Rekonstruktion. Richard Serras Stahlskulptur The Drowned and the Safed (Die Untergegangenen und die Geretteten), deren Aufstellung in der ehemaligen Sakristei zur Identifikation des Neubaus erheblich beitragen wird, steht stellvertretend für dieses Programm: Dieser zweijochige Raum existiert im Backsteinmauerwerk des Erdgeschosses, das zur Straße hin über Kopfhöhe durchbrochen wird von einem zweibahnigen Fenster mit spätgotischem Fischblasen-Maßwerk. Da vom Kreuzgewölbe nur die Ansätze der Gurtbögen erhalten sind, ist der Blick nach oben offen. Man befindet sich unter freiem Himmel in einem von der Betriebsamkeit der Stadt abgeschirmten, wenngleich durch die Unmittelbarkeit der Geräusche mit ihr in Verbindung stehenden Innenraum. Unterhalb des Raumes existiert eine tonnengewölbte Gruft, in die hinein alle bei den Grabungsarbeiten gefundenen Gebeine, der in der Kirche bestatteten Toten überführt wurden. Die Aufstellung der Skulptur von Richard Serra ist unterhalb des ehemaligen Quergurtes in der Raummitte vorgesehen. Über der Gruft, auf dem erhaltenen Plattenboden der Sakristei stehend, klammern zwei sich gegenseitig an ihren Stirnseiten stützende Stahlwinkel den Raum und die Zeit zusammen. Die Selbstverständlichkeit dieses Ortes wäre dann hergestellt, wenn das Zusammenwirken seiner geschichtlichen Spuren mit einer unserer Zeit gemäßen Architektur und den korrespondierenden Kunstwerken keiner Erklärung bedarf, wenn der Besuch »auf« Kolumba zu einem ganzheitlichen Erlebnis wird, wenn die Wahrnehmung des Ortes und der Werke zu einem Nachdenken über Geschichte, über den Standort und die Möglichkeiten des Menschen führen, seine Zukunft verantwortlich zu gestalten. Die Architektur des zukünftigen Museums wäre dann Baukunst im wörtlichen Sinn.

Veröffentlicht als Heft 2 in der Reihe "wortwörtlich", Diözesanmuseum Köln, Köln 1995 (vergriffen)

© Diözesanmuseum Köln/ Kolumba 1995
Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit Quellenangabe