Kolumba
Kolumbastraße 4
D-50667 Köln
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»Die neue Jahresausstellung „1919 49 69 ff. Aufbrüche“ im erzbischöflichen Kunstmuseum Kolumba erzählt von der Künstlerischen Auseinandersetzung mit den Umbrüchen der Zeitgeschichte. | „Propeller für D“ (2001) nennt die Künstlerin Victoria Bell ihre wuchtige Holzskulptur im Foyer von Kolumba. Kaum zu glauben, dass dieser Propeller je Fahrt aufnehmen und in neue Welten fliegen könnte. Und doch steht er für einen Urzeittraum des Menschen, sich aus dem Hier und Jetzt zu erheben und den Aufbruch hin zu einer besseren Welt zu wagen. Vom Ersten Weltkrieg bis heute geht das Kölner Kunstmuseum Kolumba in seiner neuen Jahresausstellung solchen künstlerischen Aufbrüchen und ihren Zeitumständen auf die Spur.| Eine lange Treppe in einem schmalen Gang führt hoch zum Raum 6. Was die Besucher am Ende des Ganges erwartet, ist nicht zu sehen. Eine Einstimmung auf das Thema Aufbruch. In Raum 6 erwartet sie die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Das Ölgemälde „Friesische Landschaft“ (1919) von Conrad Felixmüller erzählt von dem Versuch, den persönlich erlittenen Schrecken des Krieges zu verarbeiten. Trotzdem standen im Jahr 1919 die Zeichen für die jungen progressiven Künstler des Rheinlands auf Aufbruch. Sie konzentrierten sich bei ihrer künstlerischen Arbeit auf einfache Formen und Motive des alltäglichen Lebens der Menschen und fanden neue emotionalisierende Ausdrucksformen. Die Tonfigur „Sich im Schmerz aufbäumendes Pferd“ (1917/1920) von Franz Wilhelm Seiwert geht unter die Haut. Den künstlerischen wie politisch-sozialen Aufbruchsgeist dokumentieren eindrucksvoll Kataloge und Grafiken aus jener Zeit. Bekannte Künstler wie Wassily Kandinsky oder Max Ernst gehörten dazu. | Ins Auge fallen religiöse Motive und Christusdarstellungen, mit denen sich viele Künstler seit dem Ersten Weltkrieg bei ihrer Suche nach einem neuen, befreienden Welt- und Menschenbild beschäftigten. Auch die Bauhaus-Bewegung wurde von religiösen wie sozialistischen Idealen erfasst. Eine kleine Treppenstufe führt ins dunkle Armarium (Raum 9), den Raum der Utopien und Heilserwartungen. Dominiert wird er von einem klackenden Diaprojektor, der Aquarelle von visionären Kristallpalästen und Glashäusern des Bauhaus-Architekten Bruno Taut aus der Reihe „Alpine Architektur“ (1919) an die Wand wirft. Mittelalterliche Handschriften mit utopischen Texten und eine Auswahl an sakralen Gegenständen zeigen, wie vielschichtig die Heilssehnsucht der Menschen ist. | Am Ende des zweiten großen Treppenaufgangs zu Raum 10 lächelt den Besuchern die stark lädierte „Muttergottes mit Kind“ (um 1650) von Jeremias Geisselbrunn entgegen. Die Alabasterfigur vom Marienaltar in St. Kolumba wurde bei den Bombenangriffen auf Köln zerstört und musste aus über 70 Bruchstücken rekonstruiert werden. Es steht außer Frage: „Aufbrüche“ kann auch Zerstörungen meinen, die schwer zu reparieren sind. Das Grauen über menschliche Abgründe wie auch die Verletzlichkeit der Menschen führt auf erschütternde Weise Gerhard Altenbourg in seinem Bild „Ecce Homo“ (1949) in Raum 11 vor Augen. | Die in Vitrinen ausgestellten Exponate wie Designer-Glasvase, Kaffeemaschine oder Ventilator vermittelten das gute Gefühl: Wir können uns wieder etwas Schönes leisten. Das lederne Sitzmöbel für die Wandelhalle des Ersten Deutschen Bundestags (1948/49) von Hans Schwippert erzählt vom Zeitgeist eines demokratisch erwachenden Deutschlands. Es ist auch eine Zeit, frisches Selbstbewusstsein aus alten Traditionen zu schöpfen. Die Fotografien „Prozession zum Kölner Domjubiläum 1948“ von Karl Hugo Schmölz (1949) dokumentieren die große Reliquienprozession durch das zerstörte Köln anlässlich der 700-Jahr-Feier der Dom-Grundsteinlegung. Auf den bewährten Historischen Wegen dieser mittelalterlichen Tradition konnten die Menschen wieder Fuß für die Zukunft fassen. | Wer den Prozessionsbildern an der Wand folgt und um die Ecke in den Raum 12 biegt, wird von den „Mythischen Landschaften“ (1978 – 1984) von Michael Oppitz in ihren Bann gezogen. Die spirituell anmutenden Fotografien erzählen von den Magar-Schamanen, die unterwegs auf der Suche nach den verloren gegangenen Seelen ihrer Patienten sind. Auch die Heiligen Drei Könige in der biblischen Geschichte haben sich zu einem fernen Ziel leiten lassen, ohne den Weg zu kennen. Der Künstler Michael Buthe hat ihre Geschichte auf ein an ein Baumboot erinnerndes Fundholz mit Alltagsgegenständen konzentriert („Die Heiligen Drei Könige“, 1989). Sinnbildlich steuert es im Museum auf das aus Bolivien stammende Gemälde „Maria vom Erbarmen“ aus dem 18. Jahrhundert zu. | Ein Selbsterfahrungsraum für jeden Besucher ist der „Interdicktor“ (2017 – 2019) von Marek Poliks. Wer sich in diese raumschiffartige Klangmaschine setzt, liefert sich einem computergesteuerten Gewitter aus akustischen und optischen Signalen aus. Dies ist der Ort, um über Aufbrüche, den Sinn des Lebens und über die Ausstellung nachzudenken. Hat der Fotograf Ulrich Tillmann mit seinem „Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum“ (Raum 18) Recht, sich über die Erhabenheit jedes Kunstwerks und das unantastbare Genie des Künstlers lustig zu machen? Warum haben die beiden hochpolitischen, visionären Gemälde von Blalla W. Hallmann aus dem Jahr 1990, „Die Be-Erdigung“ und „Du bist das Licht der Welt“, nicht Donald Trump verhindert? Wen vermisse ich, wenn ich auf die „Tragedia Civile“ von Jannis Kounellis (Raum 16) blicke? Es lohnt, sich auf den Weg in die aktuelle Ausstellung in Kolumba zu machen. (Birgitt Schippers, Im Taumel der Zeit, in: AdventsZeit, Das Magazin des Erzbistums Köln, 2019)
 
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»Die neue Jahresausstellung „1919 49 69 ff. Aufbrüche“ im erzbischöflichen Kunstmuseum Kolumba erzählt von der Künstlerischen Auseinandersetzung mit den Umbrüchen der Zeitgeschichte. | „Propeller für D“ (2001) nennt die Künstlerin Victoria Bell ihre wuchtige Holzskulptur im Foyer von Kolumba. Kaum zu glauben, dass dieser Propeller je Fahrt aufnehmen und in neue Welten fliegen könnte. Und doch steht er für einen Urzeittraum des Menschen, sich aus dem Hier und Jetzt zu erheben und den Aufbruch hin zu einer besseren Welt zu wagen. Vom Ersten Weltkrieg bis heute geht das Kölner Kunstmuseum Kolumba in seiner neuen Jahresausstellung solchen künstlerischen Aufbrüchen und ihren Zeitumständen auf die Spur.| Eine lange Treppe in einem schmalen Gang führt hoch zum Raum 6. Was die Besucher am Ende des Ganges erwartet, ist nicht zu sehen. Eine Einstimmung auf das Thema Aufbruch. In Raum 6 erwartet sie die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Das Ölgemälde „Friesische Landschaft“ (1919) von Conrad Felixmüller erzählt von dem Versuch, den persönlich erlittenen Schrecken des Krieges zu verarbeiten. Trotzdem standen im Jahr 1919 die Zeichen für die jungen progressiven Künstler des Rheinlands auf Aufbruch. Sie konzentrierten sich bei ihrer künstlerischen Arbeit auf einfache Formen und Motive des alltäglichen Lebens der Menschen und fanden neue emotionalisierende Ausdrucksformen. Die Tonfigur „Sich im Schmerz aufbäumendes Pferd“ (1917/1920) von Franz Wilhelm Seiwert geht unter die Haut. Den künstlerischen wie politisch-sozialen Aufbruchsgeist dokumentieren eindrucksvoll Kataloge und Grafiken aus jener Zeit. Bekannte Künstler wie Wassily Kandinsky oder Max Ernst gehörten dazu. | Ins Auge fallen religiöse Motive und Christusdarstellungen, mit denen sich viele Künstler seit dem Ersten Weltkrieg bei ihrer Suche nach einem neuen, befreienden Welt- und Menschenbild beschäftigten. Auch die Bauhaus-Bewegung wurde von religiösen wie sozialistischen Idealen erfasst. Eine kleine Treppenstufe führt ins dunkle Armarium (Raum 9), den Raum der Utopien und Heilserwartungen. Dominiert wird er von einem klackenden Diaprojektor, der Aquarelle von visionären Kristallpalästen und Glashäusern des Bauhaus-Architekten Bruno Taut aus der Reihe „Alpine Architektur“ (1919) an die Wand wirft. Mittelalterliche Handschriften mit utopischen Texten und eine Auswahl an sakralen Gegenständen zeigen, wie vielschichtig die Heilssehnsucht der Menschen ist. | Am Ende des zweiten großen Treppenaufgangs zu Raum 10 lächelt den Besuchern die stark lädierte „Muttergottes mit Kind“ (um 1650) von Jeremias Geisselbrunn entgegen. Die Alabasterfigur vom Marienaltar in St. Kolumba wurde bei den Bombenangriffen auf Köln zerstört und musste aus über 70 Bruchstücken rekonstruiert werden. Es steht außer Frage: „Aufbrüche“ kann auch Zerstörungen meinen, die schwer zu reparieren sind. Das Grauen über menschliche Abgründe wie auch die Verletzlichkeit der Menschen führt auf erschütternde Weise Gerhard Altenbourg in seinem Bild „Ecce Homo“ (1949) in Raum 11 vor Augen. | Die in Vitrinen ausgestellten Exponate wie Designer-Glasvase, Kaffeemaschine oder Ventilator vermittelten das gute Gefühl: Wir können uns wieder etwas Schönes leisten. Das lederne Sitzmöbel für die Wandelhalle des Ersten Deutschen Bundestags (1948/49) von Hans Schwippert erzählt vom Zeitgeist eines demokratisch erwachenden Deutschlands. Es ist auch eine Zeit, frisches Selbstbewusstsein aus alten Traditionen zu schöpfen. Die Fotografien „Prozession zum Kölner Domjubiläum 1948“ von Karl Hugo Schmölz (1949) dokumentieren die große Reliquienprozession durch das zerstörte Köln anlässlich der 700-Jahr-Feier der Dom-Grundsteinlegung. Auf den bewährten Historischen Wegen dieser mittelalterlichen Tradition konnten die Menschen wieder Fuß für die Zukunft fassen. | Wer den Prozessionsbildern an der Wand folgt und um die Ecke in den Raum 12 biegt, wird von den „Mythischen Landschaften“ (1978 – 1984) von Michael Oppitz in ihren Bann gezogen. Die spirituell anmutenden Fotografien erzählen von den Magar-Schamanen, die unterwegs auf der Suche nach den verloren gegangenen Seelen ihrer Patienten sind. Auch die Heiligen Drei Könige in der biblischen Geschichte haben sich zu einem fernen Ziel leiten lassen, ohne den Weg zu kennen. Der Künstler Michael Buthe hat ihre Geschichte auf ein an ein Baumboot erinnerndes Fundholz mit Alltagsgegenständen konzentriert („Die Heiligen Drei Könige“, 1989). Sinnbildlich steuert es im Museum auf das aus Bolivien stammende Gemälde „Maria vom Erbarmen“ aus dem 18. Jahrhundert zu. | Ein Selbsterfahrungsraum für jeden Besucher ist der „Interdicktor“ (2017 – 2019) von Marek Poliks. Wer sich in diese raumschiffartige Klangmaschine setzt, liefert sich einem computergesteuerten Gewitter aus akustischen und optischen Signalen aus. Dies ist der Ort, um über Aufbrüche, den Sinn des Lebens und über die Ausstellung nachzudenken. Hat der Fotograf Ulrich Tillmann mit seinem „Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum“ (Raum 18) Recht, sich über die Erhabenheit jedes Kunstwerks und das unantastbare Genie des Künstlers lustig zu machen? Warum haben die beiden hochpolitischen, visionären Gemälde von Blalla W. Hallmann aus dem Jahr 1990, „Die Be-Erdigung“ und „Du bist das Licht der Welt“, nicht Donald Trump verhindert? Wen vermisse ich, wenn ich auf die „Tragedia Civile“ von Jannis Kounellis (Raum 16) blicke? Es lohnt, sich auf den Weg in die aktuelle Ausstellung in Kolumba zu machen. (Birgitt Schippers, Im Taumel der Zeit, in: AdventsZeit, Das Magazin des Erzbistums Köln, 2019)