Kolumba
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»Lockdown die Zweite. Obwohl, da ist ja doch einiges geöffnet und ich darf auch ohne Hund noch vor die Tür. Sogar shoppen bis die Tüten voll sind oder KVB fahren ohne Fahrgastbeschränkung. „Lockdown light“ formulierte irgendein Politiker besinnungslos, als wäre das alles von Coca-Cola gesponsert. Dann doch lieber amtlich: „Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt“. | Dass es in diesem Corona-Winter wenig zu lachen gibt, hat jeder wissen können nach der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Länder-Chefs am 28. Oktober. Schlechte Laune macht allerdings weniger die Streichung von Partys, Comedy, Karneval, Filmkomödien, sondern eine Politik, die Wirtschaft über alles stellt. Zunächst hatte man die Kunst offenbar schlicht vergessen (was man bösartig interpretieren kann), kurz darauf hinterhergeschickt, dass der November-Lockdown auch für Museen und Galerien gilt. Dann fiel wohl jemandem auf, dass Kunsthändler dem Einzelhandel zugehören – Galerien wieder auf. Museen: bleiben geschlossen. Die Ausstellung „Warhol NOW“ im Museum Ludwig, ein sicherer Blockbuster: Vorverkauf ausgesetzt. „Resist! Die Kunst des Widerstand“, Highlight im Rautenstrauch-Joest-Museum: Eröffnung verschoben. Etcetera, etcetera. | Vielleicht musste dieser erneute Lockdown angesichts der Infektionszahlen sein. Doch niemand hat bislang plausibel erklärt, warum er für Museen gilt. Zugangsbeschränkung, Abstand, Aufsichtspersonal, zusätzliche Infektionsschutzmaßnahmen – alles vorhanden. „Das Risiko des Museumsbesuchs liegt vielmehr prinzipiell im Potential seiner Inhalte“, schrieb das unartige Kolumba-Team im seinem dritten „Corona-Statement“ (sind unterhaltsame Texte eigentlich auch untersagt?). | Es passiert schon selten, dass rund vierzig deutsche Museumsdirektor*innen quasi über Nacht eine gemeinsame Protestnote formulieren und in die Welt schicken, die derzeit andere Sorgen zu haben scheint. Kultur ist Freizeit, erklärt uns Herr Laschet lapidar. Nein. Wir brauchen, gerade in diesen Wochen, Freiräume zum atmen, geistige Nahrung, Diskurs, Schönheit – als Individuen und als Gesellschaft. Sonst werden wir irre. Oder dumm. Oder krank. (Melanie Weidemüller, Erwünschte Nebenwirkungen. Die Museen, Kunstvereine und Off Spaces sind leer. Warum nur?, Stadt-Revue, 12/2020, S.57)

»Raum 21, der höchste der drei Ecktürme im Tageslichtgeschloss der schönen Kunstburg Kolumba, ist der Saal der Malereihelden geworden, so kann man jedenfalls den Eindruck gewinnen. Große Formate, große Gesten haben dort ihre Heimstatt. Robert Klümpen (*1973), der bei Bedarf gerne den großen Auftritt beherrscht, setzt bei seiner „gut und gern“-Ausstellung in diesem Raum aber weitgehend auf kaum mehr als schulheftgroße Formate. | Ein auf Augenhöhe hängender Fries aus mehreren Dutzend Bildern zieht sich über die Wände. Es sind kleine Malereiexerzitien, ein mit lockerer, sicherer Hand gearbeitetes, zu kreisendem Abschreiten einladendes Panorama aus Zitaten (vor allem Porträts der frühen, expressiven Moderne) und Anspielungen, Mustern traditioneller Genres wie Stillleben, Akt und Landschaft. Dazwischen finden sich Rätselstücke und wie ausgestrichene Bilder – und vor allem blasenförmige Gebilde, die wie Platzhalter einer noch offenen Motivik wirken. Farbkräftige, gemalte Linien rahmen jedes dieser Bilder, bekräftigen das Nachbildhafte dieser Serie. | Wer die Kleinformate betrachtet, hat zugleich ihr Gegenteil, ihr Gegenstück im Blick, im Rücken. Robert Klümpen hat rauminszenatorisch geschickt eine nicht eben bescheiden dimensionierte Architektur aus Malerei etwas außer der Mitte des großen Saals platziert. Feierlichkeit und Ironie überlagern sich in diesem Bilderbau, der aus acht großformatigen Farbmalereien besteht. Diese acht Bilder huldigen jeweils einem dominanten, aber keineswegs reinen Farbton. Sie bilden die auf einem gestuften Holzsocken ruhenden Außenwände eines unbetretbaren, erkennbar leeren Raumes, einer schlichten Lattenkonstruktion, die mit der Andeutung eines Daches abschließt, unter dessen Spitze eine silberne Diskokugel prangt. | „Cella“, heißt dieses Werk, was der innere Hauptraum eines antiken Tempels, aber auch eine christliche Kapelle sein kann, wie die ebenfalls oktogonale „Madonna in den Trümmern“ im Erdgeschoss. | Die acht Malereien führen – wie eine monumentale Palette – Farbe als Grundlage aller Malerei vor Augen. Zugleich distanzieren sie sich vom Pathos des Elementaren, Essentiellen, indem Rahmenlinien die Farbzonen wie gemalte Anführungsstriche einfassen. Ist „Cella“ ein beim Drumherumgehen in Bewegung geratendes Farbenkrussel auf dem Jahrmarkt der Malerei oder doch ein Kunstsakralwerk? Und „gut und gern“ eine Feier der Malerei? Eine Folge von Fragen? Oder alles auf Einmal?« (Jens Peter Koerver, Alles dreht sich. Robert Klümpen bespielt mit „gut und gern“ den Bilder-Raum von Kolumb, Stadtrevue 6/2020)

»Eine besonders eindrückliche Installation ist derzeit in Kolumba zu sehen: ein fragiles Konglomerat, das ins Offene strebt und doch zusammenhält („Liegt alles noch vor uns“, 2019, versch. Materialien und Werke 1984 ff.) Kolumba hat Heiner Binding im Rahmen der Jahresausstellung „Aufbrüche“ eine Schau mit Arbeiten aus vier Jahrzehnten eingerichtet, von den Zeichnungen der Anfänge (Aufbrüche!) bis heute sind alle Werkphasen vertreten. „…ich habe die Ohne-Titel-Fraktion verlassen“ hat Binding sie betitelt. | Es ist eine kleine, sorgsam ausgewählte und inszenierte Auswahl, die den turmhohen Raum 21 des Museums zum Schwingen bringt und den Betrachter in jene Fragen verstrickt, die dieses malerische Werk antreiben. Wann wird etwas überhaupt als gestaltetes Objekt wahrgenommen? Farbe als profaner Anstrich, als Malerei? Dieser Ansatz verortet Bindings Arbeit, bei aller Zeit-Melancholie, im Hier und Jetzt der Gegenwart.« (Melanie Weidemüller, Ins Offene gezielt. Seine Bilder wirken wie Strandgut, arrangiert mit größter Genauigkeit: Ein Porträt des Kölner Malers Heiner Binding Stadtrevue 3/2020)

»Man muss den Blick heben: An der Wand im Raum 6 im ersten Obergeschoss des Kolumba Museums hängen die Holzschnitte aus der Mappe „Lebendige“. Aber sie hängen nicht in Kopfhöhe, man muss eben aufblicken. Die Lebendigen sind alle tot, ermordet: Karl Liebknecht, Jean Jaurés, Rosa Luxemburg, Jurt Eisner, Eugen Leviné – sozialistische Politiker und Revolutionäre, die ihr Engagement mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Mappe wurde von jungen rheinischen Künstlern, darunter Franz Wilhelm Seiwert und Angelika Hoerle, gestaltet und herausgegeben – 1919, mitten im deutschen Bürgerkrieg um Revolution und Konterrevolution. Seiwert und Hoerle hatten sich rasant politisiert und sich bereits von Dada, das ihnen zu bürgerlich war (!), distanziert. Im Kolumba wird aber eine andere Geschichte erzählt als die einer politischen Radikalisierung: Der Blick von unten auf die „Lebendigen“ ist einer auf Ikonen, die Anrufung der Toten als lebendig hat etwas transzendentales, und der direkte Bezug dieser Holzschnitte sind frühere Arbeiten von Seiwert, die von einem tiefen spirituell-religiösen Empfinden sprechen. Conrad Felixmüller, auch der gehört in diesen Zusammenhang, zeichnet Luxemburg und Liebknecht gar als Engel. Der – gescheiterte, niedergetretene – politische Aufbruch von 1919 war grundiert von Hoffnungen und Erlösung und Erweckung, die zum utopischen Gehalt der christlichen Religion gehören – einer Rückbindung an alte, uralte Zeiten. | Das ist natürlich das Kolumba-Thema: Die Konfrontation moderner und zeitgenössischer (säkularer!) Kunst mit religiösen Motiven, mit Verweisen auf die Kunstgeschichte des Christentums. Lustvoll provokant spielen Epochengrenzen und kunstgeschichtliche Einteilungen keine Rolle. Das Museum ist souverän genug, die Konfrontation niemals eindeutig (und also parteiisch) zu arrangieren: Man kann die Arbeiten der radikalen Rheinländer als Säkularisierung christlicher Energien verstehen, als Aufladung kommunistischer Agitation mit christlichen Motiven oder aber als Aufhebung der Religion in ein universales Band menschlicher Solidarität. Die Jahresausstellung „1919 49 69ff. – Aufbrüche“ lässt das offen, gibt die Frage an uns zurück und fördert damit die Erkenntnislust, Bezüge herzustellen, nach utopischen Strömen in den Bildern und Installationen zu suchen, Brüche zu entdecken. | Zum Beispiel der wuchtige Holz-Propeller von Victoria Bell, der einen zu Beginn im Foyer begrüßt: Er würde eine Unwucht produzieren, die jedes Gefährt, das mit ihm ausgestattet ist, zerstören würde. Ist das schon die Selbstkritik der Ausstellung? Dass jeder Aufbruch destruktive Kräfte mit sich bringt, die ihn zu verschlingen drohen? Bells Propeller ist auch eine Anspielung auf ein künstlerisches Minimalprogramm von Marcel Duchamp, der 1912 die Malerei für beendet erklärte und den Propeller als Inbegriff von Modernität feierte. Der zwei Jahre später ausgebrochene Krieg war auch der erste Luftkrieg, die Propellerflugzeuge lieferten sich mörderische Schlachten. | Oder das zweite Obergeschoss, wo es zunächst um „1919“ geht – ein ganz anderer Aufbruch, gequält, ärmlich, zerrissen, existenzialistisch verstock. Gerhard Altenbourgs auf Packpapier regelrecht zerrissener „Ecce Homo“ ist das Schlüsselwerk in diesem Raum. Keine „Lebendigen“ mehr. Zum Kontrast gibt es ein „Sitzmöbel für die Wandelhalle des Ersten Deutschen Bundestags“ von Hans Schwippert, im Prinzip nüchtern-schlicht, aber eine Spur zu klobig, auch verschnörkelt – kein unbefangenes Design. Das Begleitheft zur Ausstellung bringt zu diesem Stück ein sarkastisches Zitat des Schriftstellers Wolfgang Koeppen über die Machtlosigkeit des unabhängigen Geistes in den feisten Jahren des Wiederaufbaus. | Aber der Geist wurde beschworen – der religiöse: Karl Hugo Schmölz‘ Fotoserie „Prozession zum Kölner Domjubiläum“ von 1948 demonstriert das Bedürfnis nach „Remythologisierung der Stadt“, wie es im Begleitheft heißt. Kein Kaufbruch des Geistes, wie nach 1919, sondern seine Rückbindung an ein Heiliges Köln, das, davon zeugt die Trümmerlandschaft, durch die sich die Prozession schlängeln musste, untergegangen war. Von dieser Arbeit kann man zur heiligen Armut eines Michael Buthe springen, dessen Installation „Die Heiligen Drei Könige“ (1989) aus maximal wertlosen Materialien besteht und die unverschämt charmant mit der großen ‚Filzstiftarbeit „Ain Labirint“ von Frederic Kaul harmoniert – einem Kindergartenbild von 2017. | Man kann unzählige Bezüge herstellen, es ist wohl die bislang dichteste und anspielungsreichste Jahresausstellung des Kolumba, die zudem viel fremdes und autonomes Material bietet – Ausstellungen in der Ausstellung. Etwa die Klang-Architekturen von Bernhard Leitner (die wir paradoxerweise nicht hören, sondern sehen) im Nordturm und das witzige, verspielte „Klaus-Peter Schnüttger-Webs Museum“ im Ostkabinett, das ein Feuerwerk an Kunst-Fakes abbrennt. Aber auch dieser mächtige Findling wird, wenn man so will, gerahmt: Einen Raum weiter, im Ostturm hängen zwei gemalte USA-Parodien des großen, bösen Blasphemikers Blalla W. Hallmann (1941 – 1997). Ist das jetzt Vereinnahmung, dass sie im „Kunstmuseum des Erzbistums Köln“ hängen? Das Lachen bleibt einem Halse stecken. Gut so.« (Felix Klopotek, Die Beschwörung des Geistes. „Aufbrüche“, die neue Jahresausstellung in Kolumba, ist anspielungsreicher denn je, Stadtrevue, 11/2019)

»Die Jahresausstellungen im Kolumba leben nicht nur grundsätzlich von der Konfrontation und dem Dialog zwischen alter, sakraler Kunst und zeitgenössischen Positionen, sondern auch von mannigfaltigen Akzentverschiebungen und Einsprengseln, die über das Jahr verteilt sind. Dazu gehören aktuell die Arbeiten auf Papier der Kölner Künstlerin Bärbel Messmann, die seit Anfang Juni im Raum 15 des Kolumbas zu sehen sind. Der Raum ist nicht unerheblich, befindet er sich doch in unmittelbarer Nähe zu den Räumen 18 und 19, in denen die streng konstruierten, vom Geist des Ingenieurs durchdrungenen und doch zutiefst sinnlichen Bilder und Drucke von Attila Kovács hängen. Die Arbeiten korrespondieren durchaus miteinander. Denn wie Kovács geht es Messmann um präzise Setzungen und Exaktheit, die sich aber real ganz anders äußert: überhaupt nicht streng, sondern sehr zart und vorsichtig. Sinnlichkeit heißt hier Behutsamkeit – und schier unendliche Differenzierung. „Die Farbe pendelt. Sie ist Vermittlerin zwischen zwei Farben, die wir nicht kennen“, hält Messmann fest. Was ist das Wesen von Grün? Es löst sich auf in Schattierungen. Messmann lotet auf 18 Blättern und einer Vitrine den Zusammenhang von Farbe und Licht aus – ein Zusammenhang, der die Zeit hervorbringt, denn auf Dauer verändert Licht Farbe. Begleitend veröffentlicht das Kolumba ein Künstlerheft von Messmann: „Ingwergelb – Schattengrün“ versammelt drei originale Farbproben und Aphorismen der Künstlerin.« (Felix Klopotek, Stadt-Revue, 7/2019, S.69/70 )

»Es ist wie jedes mal, wenn das Kuratorenteam im Kolumba die Kunst neu arrangiert hat: Man glaubt, die einzelnen Räume im Zumthor-Bau ganz neu zu erleben. Mit jedem Jahr mehr stellt sich ein weiterer Effekt ein: Erinnerungen an früher Gesehenes werden reaktiviert, die frischen Eindrücke überschreiben vergangene Inszenierungen, ohne sie auszulöschen, eher überlagert sich Anwesendes und Abwesendes in der Art eines Palimpsests. So ergeben sich Bezüge nicht nur in der räumlichen Zusammenschau von Werken, sondern auch in die Tiefe der Zeit. Das ist eigentlich ein schönes Bild für das menschliche Dasein, das aufgespannt ist zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Kolumba hat sich längst darin bewährt, solche sinnstiftenden Zusammenhänge aufs Schönste augenscheinlich zu machen. Vielleicht mehr denn je gilt dies für die elfte Jahrespräsentation „Pas de deux – Römisch-Germanisches Kolumba“, die sich leichtfüßig durch geografische Räume und Epochen bewegt. | Die erste Zeitreise wartet im Foyer mit Blick in den Zen-inspirierten „Klostergarten“. Zuletzt begrüßten den Besucher hier ein seltsames Völkchen Humanoider aus Krimhild Beckers Robotor-Sammlung, jetzt liegt da ein abgeschlagenes Medusenhaupt, Marmor, entstanden im 3. Jh., ausgegraben in Rom. Medusa, die sterbliche der drei Gorgonenschwestern, hat ihren Schrecken verloren, still, wie schlafend ruht der große Kopf auf einer schwarzen Steinplatte. Bekannt ist die antike Skulptur auch als „Medusa Wallraf“, nach dem Stifter Franz Ferdinand Wallraf; heute gehört sie zur Sammlung des Römisch-Germanischen Museums (RGM). Damit sind Stichworte gesetzt: Die 2000-jährige Stadtgeschichte und die geheimen Beziehungen der Kölner Museen untereinander. | „Römisch-Germanisches Kolumba“ – was hat es auf sich mit dieser Kooperation zweier Häuser, die man normalerweise nicht in einen Topf werfen würde? Der praktische Anlass: Das RGM muss für eine Generalsanierung des 70er-Jahre-Baus an der Domplatte schließen. Inhaltlich ist die Idee völlig plausibel: Kolumbas eigene Sammlung dehnt sich über 2000 Jahre bis in die Gegenwart und umfasst christliche wie freie und angewandte Kunst, so dass die antiken Stücke sich wie selbstverständlich einfügen. Zudem ist die römisch-christliche Geschichte Kölns an diesem Ort – der Zumthor-Bau integriert auch ein archäologisches Grabungsfeld – besonders spürbar. So ist dieses „Pas de deux“ zweier Sammlungen wohlbegründet, aber alles andere als ein verstaubtes Gelehrtenstück. | Der Ausstellungstitel ist dem Höhepunkt des klassischen Ballett entlehnt, die Freiheit und Experimentierlust der Inszenierung wohl eher dem Jazz – was insbesondere den Exponaten des RGM gut bekommt. Im Obergeschoss gleich ein Schlüsselwerk: „Fred“ heißt die knapp zehnminütige Videoarbeit von Annamaria und Marzio Sala, in der Fred Astaire und Cyd Charisse ihr Pas de deux aus dem Filmmusical „The Band Wagon“ von 1953 tanzen, während sich im Hintergrund mehrere Typen eine wüste Schießerei liefern. Das Filmzität, verfremdet und sorgfältig neu choreografiert, zeigt jene Lust am Spielerischen, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht. | Tanz, das ist Bewegung in Raum und Zeit, übersetzte Musik, sinnliches Denken, eine nonverbale Sprache. Kunst, Lebendigkeit, Schönheit, Emotion, Zartheit, Provokation, Eros, Totentanz – im Tanz spiegeln sich die vielfältigen Aspekte des menschlichen Lebens, die die Ausstellung befragt. Und so allgemein das Menschsein verhandelt wird, so präzise zeigt sich die Inszenierung im Konkreten. |Man kann eigentlich nur beispielhaft Räume und Werke aus dieser Wunderkammer hervorheben. Da ist Raum 10, dessen Motto „Vielgesichtigkeit“ lauten könnte: Skurrile antike „Gesichtsurnen“ aus Ton, jede individuell, wulstige Brauen, herausgestreckte Zungen im Dialog mit einem zeitgenössischen Werk, Bénédicte Peyrats Tablau aus 91 karikaturhaft gemalten Männergesichern, dazu als gleichmütige Beobachterin eine von sechs Engeln umrahmte Maria (15. Jh.). | Während man sich vor vielen liebevoll arrangierten Vitrinen in Detail verlieren kann, bietet der zentrale Saal im zweiten Obergeschoss ein besonderes Raumerlebnis: Auf einem kniehohen Podest in der Mitte des Raumes sind gefühlt hunderte von Gebrauchskeramiken – Kannen, Vasen, Becher, Schalen – aus zwei Jahrtausenden lässig arrangiert, an den Wänden lässt das fröhlich jonglierte Porzellan in Anna und Bernhard Blumes Fotoserie „Vasenextase“ den Schwerbenhaufen schon erahnen. | Einer der drei Turmräume sticht ebenfalls hervor: Wie perfekt hier Dieter Kriegs monumentaler Malerei-Zyklus „In der Leere ist ist nichts“ (1998) mit einem filigranen, farbig verzierten Diatretglas aus dem 4. Jh. korrespondiert, das ist schon ein Coup. Das Glas trägt in purpurnen Buchstaben den griechischen Schriftzug „Trinke, lebe schön immerdar“, der melancholisch das Leben feiert wie diese ganze Ausstellung. | Der grandiose Reichtum dieser Stadt und ihrer Museen steht immer wieder im Missverhältnis zum politischen Willen, ihn zu pflegen, zu finanzieren, kurz: dieses Potenzial auszureizen. Insofern hat dieses Gemeinschaftswerk zweier erstklassiger Häuser etwas vorbildliches, ohne auftrumpfend zu werden. Unbedingt zu empfehlen ist der neue Taschenbuch-Guide, ein feiner Zwitter aus Wissenschaft und Poesie. „Genauigkeit produziert eine eigene Art des Schönen“, ist da zu lesen (Michael Oppitz). Solche Art Schönheit ist auch in dieser Ausstellung zu erleben.
(Melanie Weidemüller, Präzision und Zärtlichkeit. Mit der Ausstellung Pas de deux – römisch-germanisches Kolumba zeigen sich zwei Kölner Museen von ihrer besten Seite, Stadtrevue 11/2017)

»In ihrer Ausstellung, die sich über fünf Räume von Kolumba verteilt, stellt die aus Wales stammende, in Berlin lebende Bethan Huws eine Gretchenfrage: Warum noch mehr Kunstwerke schaffen, wenn man schon die nicht versteht, die es bereits gibt? So lautet der Text in einer ihrer sogenannten „Wort-Vitrinen“, Glaskästen mit Steckleisten für bewegliche Buchstaben, die gleichzeitig Texte und gerahmte Bilder sind. | Die Kunst von Bethan Huws liefert mögliche Antworten auf diese Frage. Eine davon lautet, dass Verstehen kein abschließbarer Prozess, sondern ein endloses Spiel mit Variablen ist. So versieht die Künstlerin ein Fenster mit einem Vorhang, der mit dem Wort „CERTAIN“ bedruckt ist – ein Wortspiel mit „curtain“, dem englischen Wort für Vorhang, ine Anspielung auf Ludwig Wittgensteins Text „Über Gewissheit“ und eine produktive Intervention in einem Haus, das auf Fragen von Glauben und Zweifel spezialisiert ist. Im Zentrum von Huws’ künstlerischen Überlegungen steht erklärtermaßen das Werk von Marcel Duchamp, dem die Kunstwelt seit über hundert Jahren das Readymade, den zum Kunstwerk erklärten Alltagsgegentand verdankt.| Huws spielt mit Duchamps Einsicht, dass Kunst nicht eine Frage der Ästhetik, sondern eine der Geltung ist: Auf zwei Tischen begegnen sich sorgfältig von ihr arrangierte Alltagsgegenstände aus der Sammlung des Museums und von Huws ausgewählte Naturobjekte – ohne dass man die Frage, ob die Alltagsdinge dadurch ebenfalls zu Kunst geworden sind, mit dem Auge allein beantworten könnte. Ein gründliches Interesse an Duchamp wäre unvollständig ohne eine Hommage an seinen ganz unironischen Erotismus, den Huws in ihrer Filmprojektion „The Chocolate Bar“ (2005/06) gebührend feiert. Dreh- und Angelpunkt der Arbeit ist das Wort „Mars“, das einen Frühlingsmonat einen Kriegsgott, einen Planeten und einen Schokoriegel bezeichnen kann. Der Film kontrastiert eine Kaskade sprachlicher Missverstände, die um den Begriff kreisen, mit dem – herrlich überzogenen – sprachlosen, aber nicht stummen Genießen der Schokolade durch einen männlichen Darsteller, Anspielung auf Duchamps Vorliebe für das (autoerotische) Junggesellentum. Sprache, fand Duchamp, ist gut für Vereinfachungen, aber ziemlich ungeeignet, um „36 Schattierungen einen Gefühls“ zum Ausdruck zu bringen.« (Barbara Hess „Fragen über Fragen“, Bethan Huws interveniert in Kolumba in: Stadtrevue von 06/2016)

»Dieses Kunststückchen schleicht sich aus dem Augenwinkel ins Bewusstsein. Eine Sache von Sekunden. Man steht zum Beispiel im Kiosk an der Aachener Straße, der Blick streift Zigaretten, das Alkoholregal, dort lehnt ein iPad, darauf zwei applaudierende Anzugträger; soweit so tausend mal gesehen. Aber die Herren hören einfach nicht auf zu klatschen. Eine Endlosschleife, resistent gegenüber schneller Deutungswut (Ähnelt der eine nicht Dick Cheney? Wann, wo, warum?), je länger man schaut, desto sinnentleerter wird die Geste. Aber einen Moment steht die Warenwelt still. Eingeschleust hat den Agenten der Künstler Olaf Eggers: Für seine mit Kolumba realisierte Aktion „Shopmovies“ hat er an sechs Orten in der Innenstadt iPads platziert. Ein Relitätspartikel (kurz, leicht, schnell erfassbar) extrahieren, minimal bearbeiten, zurück ins Umfeld setzen – so erklärt Eggers seine Arbeitsweise. Eine präzise Setzung, maximal beiläufig, die unterhalb des Kunstradars das Alltagsgeschäft infiltiert. Applaus Applaus – für diese Art uns zu verstören.« (Melanie Weidemüller, Shopmovies, Stadt-Revue, 01/2016, S.70)

»Die neue Ausgabe eines christlichen Gesangbuchs, ein Thema für die StadtRevue? Nun, wenn die Katholische Kirche in ihr „Gotteslob“, dem 1975 erschienenen Gebets- und Gesangbuch für alle deutschsprachigen Bistümer, erstmals freie Zeichnungen integriert und dafür die Kölner Künstlerin Monika Bartholomé anfragt, wird es schon ein Thema. Erst recht, wenn in der musealen Präsentation dieser Arbeiten auch Bartholomés umfassendes Projekt „Museum für Zeichnung“ vorgestellt wird. Für die Ausstellung hat Kolumba seine erste Etage freigeräumt: Das Museum im Museum präsentiert in Originalzeichnungen, Postkarten, Publikationen und Filmen eine persönliche und zugleich umfassende Definition der Zeichenkunst. In ihr finden die Werke fürs „Gotteslob“ mit Tattoos, Kalligraphie, Comics, Ritzzeichnungen und Animation gemeinsame Nenner.« [Es folgt ein ausführliches Interview] (Oliver Tepel, Der Mensch ist ein Zeichner. Monika Bartholomé präsentiert ihr Museum für Zeichnung der ÖffentlichkeitStadtRevue 06/2015

»…eine zerbrechliche, würdige Empfangsdame aus Alabaster-Bruchstücken, still, anmutig, staunenmachend. In dieser Tonart ist die gesamte, sehr aufgeräumte Ausstellung gestimmt, die um das katholische "Gaudium et Spes", Freude und Hoffnung kreist. Entdeckungen? Aber ja: etwa eine Skulptur der 1981 geborenen, in New York lebenden Esther Kläs, die eines der Turmzimmer mit ihrer ganzen verblüffenden Präsenz füllen darf… Freude bereiten auch die große "petersburger" Wand mit Zeichnungen nach der Natur, Birgit Antonis früher Animationsfilm "Schmetterling" oder (was schlummert noch alles in dieser Sammlung?), vierzig auf Reisen gezeichnete Blätter des leichthändigen Meisters Richard Tuttle. Wer befürchtet hatte, das "Prinzip Kolumba" mit welchsenden Jahresausstellungen könnte sich erschöpfen, den Kuratoren die Ideen oder die Sammlungsbestände ausgehen, wird auch mit der nunmehr achten Neu-Inszenierung sanft eines Besseren belehrt." (Melanie Weidemüller. Kolumba playing by heart, in: Stadt-Revue, 11/2104, S.67)

»Das Kölner Kolumba lud Bruno Jakob nun zu einer Intervention innerhalb der Jahresausstellung 'zeigen verhüllen verbergen. Schrein' ein, und in der Tat passt diese exentrische Position hervorragend zum Kontext. Der 1954 in der Schweiz geborene, in New York lebende Künstler beschäftigt sich schon seit 1968 mit seinen 'Invisible Paintings', wie er seine Malerei mit unsichtbaren Materialien nennt. Es geht um den Versuch, die Kraft der Imagination selbst darzustellen.« (Sabine Elsa Müller, Schneckenmalerei und tiefer Schlaf, in: Stadt-Revue, 4/2014, S.50)

»Kölns schönstes und eigensinnigstes Museum sammelt nebenbei auch Auszeichnungen. Dieses Jahr die "Große Nike" des BDA, und gerade wählte die Deutsche Sektion des AICA (Internationaler Kunstkritikerverband) Kolumba zum "Museum des Jahres 2013". Manchmal trifft es den richtigen.« (Stadt-Revue, Januar 2014, S.29)

»Jedes Jahr baut sich diese Spannung auf: Nach kurzer Umbauzeit präsentiert sich Kolumba – immer zum gleichen Termin am 15. September – mit einer komplett neuen Präsentation seiner Sammlung, die nun wieder für ein ganzes Jahr lang für eine eigenwillige Kunsterfahrung wie auch für Diskussionsstoff sorgen wird. "zeigen verbergen verhüllen. Schrein – Eine Ausstellung zur Ästhetik des Unsichtbaren" laut der programmatisch assoziative Titel in diesem Jahr. Während man geduldig mit den Pressekollegen vor den Türen des Museumsbaus auf Einlass wartet, wir einem plötzlich bewusst, wie sehr die Metapher des Schreins, der etwas noch viel Kostbareres in sich birgt, verhüllt und damit gleichzeitig aus der Masse hervorhebt, auf den vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor entworfenen Bau selbst zutrifft. Das Kunstmuseum des Erzbistums ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Es beherbergt einen imposanten sakralen Schatz an Malerei, Skulptur, liturgischem Gerät, Gewändern, goldenen Monstranzen, Büchern, Prozessionsfahnen und vieles mehr, der sämtliche Epochen bis zurück zum frühen Mittelalter umfasst. 1990 erlebte das Museum mit dem Amtsantritt von Joachim M. Plotzek eine Zäsur, denn er öffnete das Museums für die Gegenwartskunst. Im Neubau trägt Stefan Kraus seit 2008 die Verantwortung für wechselnde Dialoge von sakraler und profaner Kunst, Alt und Neu, Hochkunst und Angewandter Kunst und die eigenwilligen Fragen, die Kolumba aufwirft: Was macht einen Gegenstand zur Kunst? Was sind uns die Dinge, mit denen wir uns täglich umgeben wert? Ist spirituelles Erleben an Heiligenbilder gebunden oder stellt es sich auch bei einem abstrakten Gemälde ein? Bei der nun schon siebten Jahresausstellung geht das Konzept auf. Der Rundgang ist von mächtigen Blöcken akzentuiert, die von Station zu Station spiralförmig in die 2. Etage leiten, in das Innerste und gleichsam Allerheiligste. Dort glänzt die Ausstellung mit spektakulären Leihgaben aus dem Siegburger Kirchenschatz: Das Paradestück ist der Anno-Schrein von 1181, der als Vorläufer des Dreikönigen-Schreins im Kölner Dom zu den kostbarsten Goldschmiedewerken seiner Zeit zählt. Begleitet von drei weiteren, etwas kleineren Schreinen bildet sich hier ein sakrales Zentrum, das verüllt, was es in sich birgt. In umgekehrter Reihenfolge von innen nach außen betrachtet, legt sich um dieses Zentrum eine diaphane Hülle in Form der wunderbar ambivalenten Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Max Cole (* 1937), deren Werk einen weiteren Schwerpunkt bildet. Ihre aus feinen horizontalen und vertikalen Linien und luziden Bändern aufgebaute Malerei wirkt nüchtern und beunruhigend zugleich, flächig und unendlich tief, wechselhaft und unggreifbar. Die angrenzenden Räume bieten immer wieder überraschende, vor allem sehr unterschiedliche Eindrücke. Die 22 Räume des Hauses erfordern dramaturgisches Geschick. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Einige sind niedrig, andere turmhoch, manche schmal und lang, dramatisch beleuchtet, liegen in schummrigem Dämmerlicht oder sind lichtdurchflutet. Durch die Haupträume spannt sich ein gleißend polierter, fast weißer Terrazzoboden, auf dem die Besucher wie auf Wasser zu wandeln scheinen, während der Lehmputz der Wände für eine warme Ausstrahlung sorgt. An diesem sensiblen Wänden wirken die blauen Bilder von Rudolf de Crignis (1999) noch unwirklicher, schwebender und entrückter als sonst. Skie teilen sich den Raum mit einem mächtigen Heilig-Geist-Retabel aus einer Nürberger Werkstatt von 1449, als spannende Gegenüberstellung formal völlig unterschiedlicher Lösungen der Frage nach der spirituellen Malerei. Es lassen sich viele Neuentdeckungen machen, wie die beeindruckende Halbfigur von Hans Josephsohn (1996) oder die bisher noch nie gezeigten feinen Radierungen von Gerhard Altenbourg (1985-88). Die lebendige, von Licht modulierte Oberfläche von Jeremias Geisselbrunns Muttergottes mit Kind aus Alabaster (um 1650) korrespondiert in einem sehr reizvollen Kontrast mit den wenigen Pinselstrichen und der meditativen Tiefe des kleinen Jawlensky-Bildes (1937) ihr gegenüber. Ein Schrein kann aber auch ein modernes Gerät sein, wie beispielsweise ein Fernsehrgerät aus der Sammlung Schriefers, ein Radiogerät oder ein Toaster, eine Thermoskanne oder eine alte Plattenkamera – so unerschöpflich das Thema, so vielfältig und spannend diese Ausstellung.« (Sabine Elsa Müller, Heiliger Schrein trifft profane Wunderkisten, in: Stadtrevue, 12.2013, S.61)

»Kolumba ist Kolumba. Mit seiner Eröffnung 2007 hat sich dieses Museum als ein Kunstort eigener Art etabliert. Er zeigt Chronologien und sortenreine Einteilungen souverän ignorierende Ausstellungen sakraler Werke aller Epochen und mischt sie mit Kunst, Design und Kunsthandwerk der Moderne und Gegenwart. Die bisherigen Jahresausstellungen lassen sich als offene, um ein thematisches Motto gruppierte Arrangements beschreiben. Darüber ist fast vergessen worden, dass Kolumba nicht nur Kolumba ist, sondern auch „Museum des Erzbistums Köln“. Mit der neuen Jahresausstellung wird aus dieser kirchlichen Bindung mutmaßlich eine Verpflichtung. Sie steht unter dem Titel „Art is Liturgy. Paul Thek und die Anderen“. In dieser so griffigen wie durch ihren Allgemeingültigkeitsanspruch problematischen Formel – ein Thek-Zitat – werden Kunst und Gottesdienst gleichgesetzt, denn Liturgie bedeutet die „amtliche oder gewohnheitsrechtliche Form des Gottesdienstes“, wie es nüchtern im Duden heißt. In einer Pressemitteilung fasst das Museum Liturgie weiter, in ihr „wird die Geburt, Leben und Werk, die Passion, der Tod und die Auferstehung gefeiert, erinnert und vergegenwärtigt“. Nicht nur die einengende Bindung an einen theologischen Begriff, auch die Hervorhebung eines einzelnen Künstlers ist ein Novum, konventionelle Retrospektiven sind nicht Sache des Hauses. Auch für Paul Thek macht man keine Ausnahme. Fast immer sind seine im ganzen Haus verteilten Werke – Objekte, Zeichnungen und Bücher, Malereien – mit anderen Stücken kombiniert. Kolumba hat seit den 90er Jahren die weltweit größte Sammlung mit Werken des Amerikaners zusammengetragen. Paul Thek (1933 – 1988) ging es, auch und gerade im Sinne des Liturgischen, ums Ganze, um erste und letzte Dinge. Seine begeisterte, quälende Auseinandersetzung mit Gott und der Welt findet ihren Niederschlag in ebenso individuellen wie rätselhaften, verstörenden Werken. Vor allem seine plastischen Objekte handeln von einer sehr persönlichen Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper, der physischen Seite des Seins als Fleisch, und der Entgrenzung und Aufhebung eben dieses Körpers durch Tod und Erlösung. Thek zeigt ihn mal als ozeanisch zwischen Fischen schwimmenden, treibenden, lebensgroßen Leib („Fishman“, 1969), mal als aus Wachs gefertigten, fettgelben, geweberoten Fleischbrocken, der wie selbstverständlich von Schmetterlingen, den Seelensymboltieren schlechthin, umgeben ist („Technological Reliquary [Meatsculpture with Butterflies]“, 1966). Spielerischer, heiterer, manchmal naiv erscheinen seine Malereien, Zeichnungen und Radierungen. Aber auch diese Erdkugeln, Schlangen, Meere, Schwäne, Wale sind durch ihre Titel, anspielungsreiche Beschriftungen, nicht zuletzt die traditionelle christliche Symbolik inhaltlich aufgeladen und in heilsgeschichtliche Zusammenhänge eingebunden. Trifft für Thek das Schlagwort „Kunst ist Liturgie“ sicher zu, so ist zu fragen, wie es sich mit den „Anderen“ verhält. Michael Buthes prätentiös-pathetisches Spätwerk „Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit“ (1992) fügt sich bruchlos ins Kunstliturgische. Es besteht aus zwölf geschwärzten Kupfertafeln, die mit ihren gravierten, schwebenden Figuren und üppigen Ornamenten geheimnisvoll im Licht einiger Kerzen im Dunkeln schimmern. Überhaupt scheint diesmal in einigen Räumen eine besonders bedeutungsschwere Andachtsdunkelheit zu herrschen. Jannis Kounellis Goldwand „Tragedia civile“ (1975) leuchtet noch ein bisschen feierlicher als sonst in Raum 16. In ihrer Nachbarschaft tauchen Deckenstrahler diverse zeitgenössische Schalen, Becher und Vasen in auratisierendes Licht, zusätzlich erfahren sie im Begleitheft durch ein Zitat zur liturgischen Notwendigkeit von Gefäßen eine unfreiwillige Sakralisierung. Subtiler sind die Eingemeindungen anderer weltlicher Werke. Ob es sich um Literatur zur Bauhausbühne und George Brechts profane Handlungsempfehlungen handelt, die dem Rituellen zugeschlagen werden, oder um Jürgen Klaukes ironisch-circensische „Daseinsrenovierung # 1-6“ (1996 – 98), die durch eine benachbarte Pietà und Theks „Fishman“ in höheren Sphären entrückt wird, stets werden Werke in Zusammenhänge gestellt, die unter dem großen Begriffshimmel des Liturgischen angesiedelt sind Wie insgesamt diese Jahresausstellung stärker als ihre Vorgänger von einer hoch konzentrierten Bedeutungsdichte und Dauerfeierlichkeit geprägt ist, was auch mit der ungewöhnlich großen Zahl religiös motivierter Stücke zusammenhängen mag. Umso interessanter ist es, dass sich einzelne, eher unauffällige Werke diesem Sinnsog widersetzen. Manos Tsangaris „Pfähle“ (1982) fügt sich eigentlich passgenau ins liturgische Unterthema Prozession, doch sein dokumentierter nächtlicher Weg bleibt mit seinen lapidaren akustischen Funden – jeder Metallpfahl wurde unterwegs zum Klingen gebracht – ein nächtlicher Weg, eine Reihe von Klängen.
Dieser und ein paar anderen Arbeiten ist ein leiser, beharrlicher Eigensinn anzumerken, womit die Problematik der Ausstellung d deutlich wird. „Art is Liturgy“ ist eine konsequent kombinierte und wirkungsvoll arrangierte Ausstellung im immer weiter verfeinerten Stil des Hauses. Aber sie hält sich allzu streng und beflissen an die eigene thematische Vorgabe, verleibt dieser manches ein und verzichtet leider fast ganz auf Reibungen.« (Jens-Peter Koerver, Fleischklumpen mit Schmetterlingen. Mit seiner sechsten Jahresausstellung feiert Kolumba Paul Thek - und einen großen Kunstgottesdienst, in: Stadt-Revue, Köln, 10.2012)

»Erste Kontakte zu Kolumba entstanden 2005, als das gesamte Kuratorenteam, eine Ausstellung ihrer Künstlerbücher in Bochum besuchte. Viele Stunden waren sie dort. Diese intensive Auseinandersetzung hat Missmahl damals mächtig beeindruckt. Nach weiteren Gesprächen wusste er, dass das Museum ein wirkliches Interesse an der gesamten Kollektion und nicht nur an einigen Filetstückchen hat. Missmahl hat sich darin nicht getäuscht. Über ein dreiviertel Jahr aheb die Kuratoren gemeinsam mit dem Sammler die Ausstelung die begleitende Publikation "denken" erarbeitet.« (Cordula Walter, Das Buch der tausend Unikate. Das Sammlerehepaar Missmahl hat seine Künstlerbücher Kolumba vermacht, in: Stadt-Revue 1-12, S.88)

»Jedes Jahr eine völlig neu gestaltete Sammlungspräsentation, das käme anderen Museen nicht in den Sinn. Personal und PR-Aufwand investiert man heute lieber in als 'spektakulär' hochstilisierte Sonderschauen, die Dauerausstellung der eigenen Sammlung – eigentlich doch Herz jeden Museums – verkommt zur Beigabe. Es sei denn, man macht alles von Grund auf anders. Das Kunstmuseum des Kölner Erzbistums Kolumba, seit seiner Eröffnung im Zumthor-Bau 2007 so etwas wie das Synonym für die Ausnahme von der Regel des Kunstbetriebs, verzichtet auf das Prinzip 'Wechselausstellung'. Stattdessen erlebt man alljährlich im September die Inszenierung eines neuen Ausschnitts der Sammlungsbestände, die sich über 2000 Jahre von sakraler bis zu zeitgenössischer und angewandter Kunst dehnen. Dauerausstellung? Eher: Veränderung als Prinzip. Jede Jahresausstellung ein Spiegel der grenzüberschreitenden Sammlungstätigkeit des Hauses, ein Ergebnis fortwährender kuratorischer Auseinandersetzung und Denkprozesse; ein präzises Ausloten der einzigartigen Architektur. Mit diesem Konzept und der Weigerung, die Anbiederungsgesten, didaktischen Gängeleien und den Event-Aktionismus anderer Häuser zu kopieren, hat Kolumba seit der Eröffnung täglich 200 bis 400 Besucher angezogen und in den Medien höchstes Lob geerntet. Dass nun ein renommierter Kunstkritiker am 1. April in der FAZ den ersten Totalverriss veröffentlicht hat, zeigt beeindruckenden Mut zur Dissidenz. Er wäre zu begrüßen im Sinne der Streitkultur, hätte sich Eduard Beaucamp nicht in einer wüsten Polemik vergaloppiert. Beaucamp bauscht einen Bogen von Bildern als Glaubensretter bis zur Nähe von zeitgenössischer Kunst und Kirche, die 'diffuse Spiritualität und bizarre Experimentierlust' begrüße. Nach dieser Einstimmung lobt er das Würzburger Museum am Dom – barocke Fülle! DDR-Künstler! – und wettert gegen Kolumba. Man fühle sich versetzt in eine kahle Calvinistenkirche, wo 'freudlose Gruftästhetik', 'frostige Leere' und 'bilderfeindliche Bespielung' zum Credo erhoben würden. Rumms. Man reibt sich die Augen, sucht nach Beispiel und Argumentation, überprüft das Gesagte nochmals vor Ort beim Ausstellungsbesuch. Und fragt sich: Waren wir im gleichen Museum? 'Die Kirchen und die Gegenwartskunst', der Untertitel der Kolumne, zielt aufs Ganze. Das Verhältnis von Kunst und Religion ist ein weites, äußerst spannendes Feld und gut beackert, die Beschäftigung sei ausdrücklich empfohlen. Für Kolumba indes gilt: Eine Qualität dieses Museums in Trägerschaft der Kirche ist es, dass es weder Künstlern noch Besuchern solche Diskurse oder religiöse Bekenntnisse aufnötigt. Kolumba ist zuallererst ein Kunstmuseum, als solches kann und muss es mit den Kriterien gemessen werden, die Kunstgeschichte, Kritik und eine aufmerksame Wahrnehmung bereitstellen. Insofern wiegt es schwerer, dass Beaucamp offenbar die zur Kunstbetrachtung unverzichtbaren Sehnerven durchgegangen sind. Es wäre ein lässlicher Lapsus, dass er von 'Betonwänden' spricht, obwohl feinster Naturlehmputz im gesamten Haus die Ausstellungsräume prägt, folgte daraus nicht die Frage: Wenn ihm die sinnlichen Qualitäten von Lehmputz entgehen, was nimmt er dann wahr von der subtilen Materialität des Farbauftrags einer Leinwand? Man muss die radikale Malerei des Amerikaners Joseph Marioni, die derzeit einen Schwerpunkt bildet, nicht mögen – 'schwache zeitgenössische Monochromien' sind es gewiss nicht. Und so fort. Unterstellen wir wohlwollend: Der Kritiker war in Eile, das verträgt sich halt schlecht mit einem Museum der Entschleunigung. Damit zum Thema der vierten Jahresausstellung. Was für ein Feld für eine kontroverse Auseinandersetzung hätte Beaucamp hier gehabt – und belässt es beim Hieb auf das 'körperverleugnende Motto'. Doch auch das ist nicht Beton, sondern schimmert als Leitmotiv in den düsteren, lichten, brutalen, zarten Tönen, die die differenzierten künstlerischen Sichtweisen ihm verleihen. Das Museums-Team rückte das 'Noli me tangere!' (Berühre mich nicht, Halte mich nicht fest, Johannesevangelium) in den Kontext des Missbrauchsskandals, und die Kunst weitet diesen Blick. Mit vielgestaltigen Mitteln kreisen die Werke um Nähe und Distanz, Begehren und Respekt, Übergriff und Behutsamkeit. Im Kern: um die Integrität des Körpers und des Individuums. Da ist die drastische, in beunruhigenden Märchenton gekleidete Bildgeschichte 'Der große und der kleine Paul' von Michael Kalmbach, in der sich große Menschen der zarten, schmackhaften kleinen Menschen als Nahrung bedienen, bis ein vernichtendes Meer aus Kotze eine Utopie gebiert. Am anderen Ende des Spektrums ein weiteres zentrales Werk: die minimalistische Ton-Raum-Skulptur 'Pulsierende Stille' des Klang-Pioniers Bernhard Leitner, in deren Innerem der eigene Körper zum vibrierenden Klangmedium wird. Dazwischen viele Rauminszenierungen und einzelne Werke, die ebenso nachhaltig beschäftigen. Welche Qualität hat Berührung, Begegnung, Beziehung? Achtet oder verletzt sie Grenzen? Ergreift sie Besitz?
Man verlässt die Ausstellung mit angerauter Oberfläche und intellektuell herausgefordert. Man denkt vielleicht noch mal darüber nach, was dieses Haus so besonders macht. Kunst ermöglicht Grenzerfahrung, stellt existenzielle Fragen, macht Unsichtbares sichtbar, darin ist sie religiöser Erfahrung verwandt. Dass sie Glaubenssätze hinterfragt, ad absurdum führt, in letzter Konsequenz ketzerisch auftritt, macht sie zur Kunst. In beidem liegt ein Potenzial. Vielleicht ist es Kolumbas vornehmste Aufgabe, diese Reibung auszuhalten, aus ihr Funken zu schlagen, ein Ort der freien ästhetischen Erfahrung zu sein. Dass er als solcher immer auch gefährdet ist, sollte man nicht vergessen. Eduard Beaucamp gebührt Dank für den Anlass, sich die Qualitäten dieses Hauses noch einmal zu vergegenwärtigen.« (Melanie Weidemüller, Lob der Behutsamkeit. Eine Antwort auf Edouard Beaucamp, Stadtrevue Köln, Juli 2011, S.72)

»Mit der zweiten Sammlungspräsentation startete Kolumba im September auch die neue Reihe 'Raum 10', die künftig im dreimonatigen Wechsel Künstler vorstellt. Die Ausstellung von Heiner Binding entwickelt sich um eine barocke Marienskulptur aus grauweißem Alabaster im gleichen Raum, die 1945 zerstört und aus 70 erhaltenen Fragmenten wieder zusammengefügt wurde. Auch Bindings Malerei vermittelt in ihrer ungegenständlichen Sprache etwas von Brüchen und Verletzungen, wenn Linien abreißen oder Malschichten aufgeschürft werden, spricht aber auch von den Möglichkeiten, Widerstrebendes zu einem spannungsvollen Ganzen zu verflechten. Seine Arbeiten verbinden subjektive, emotionale Resonanzen mit Reflexionen auf die Geschichte der Malerei (Piet Mondrians Raster, Sigmar Polkes Stoffe, Cy Twombly Graffitis). Das gilt auch für das begleitende, ausgefeilt komponierte Künstlerheft mit dem Titel 'In der Gegend von Camus' – jenes Existenzialisten, der dazu riet, sich Sysiphos als einen glücklichen Menschen vorzustellen.« (he, Kölner Stadt-Revue, 12/2008)

»Dieses Ereignis muss bejubelt werden, Nüchternheit wäre völlig fehl am Platze. Revidieren müsste man dies nur, wenn die Kuratoren die Eröffnungsausstellung von 'Kolumba' komplett in den Sand setzen. Das aber ist unwahrscheinlich, denn eigentlich bereiten sie sich seit 1990 darauf vor.[…] Die Sammlung umfasst Werke von der Antike bis zur zeitgenössischen Kunst, ohne Trennung zwischen alter und neuer, angewandter und freier Kunst. Wie umsichtig und wirkungsvoll ein solches 'Crossover' inszeniert werden kann, konnte man in vielen Ausstellungen erleben. […] Kolumba hat den gleichen Eigensinn und langen Atem wie Peter Zumthor.« (Melanie Weidemüller, Kolumba wird eröffnet, Stadt-Revue Kölnmagazin, 9/2007)
 
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KOLUMBA :: Kritiken :: Stadt-Revue

»Lockdown die Zweite. Obwohl, da ist ja doch einiges geöffnet und ich darf auch ohne Hund noch vor die Tür. Sogar shoppen bis die Tüten voll sind oder KVB fahren ohne Fahrgastbeschränkung. „Lockdown light“ formulierte irgendein Politiker besinnungslos, als wäre das alles von Coca-Cola gesponsert. Dann doch lieber amtlich: „Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, werden untersagt“. | Dass es in diesem Corona-Winter wenig zu lachen gibt, hat jeder wissen können nach der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Länder-Chefs am 28. Oktober. Schlechte Laune macht allerdings weniger die Streichung von Partys, Comedy, Karneval, Filmkomödien, sondern eine Politik, die Wirtschaft über alles stellt. Zunächst hatte man die Kunst offenbar schlicht vergessen (was man bösartig interpretieren kann), kurz darauf hinterhergeschickt, dass der November-Lockdown auch für Museen und Galerien gilt. Dann fiel wohl jemandem auf, dass Kunsthändler dem Einzelhandel zugehören – Galerien wieder auf. Museen: bleiben geschlossen. Die Ausstellung „Warhol NOW“ im Museum Ludwig, ein sicherer Blockbuster: Vorverkauf ausgesetzt. „Resist! Die Kunst des Widerstand“, Highlight im Rautenstrauch-Joest-Museum: Eröffnung verschoben. Etcetera, etcetera. | Vielleicht musste dieser erneute Lockdown angesichts der Infektionszahlen sein. Doch niemand hat bislang plausibel erklärt, warum er für Museen gilt. Zugangsbeschränkung, Abstand, Aufsichtspersonal, zusätzliche Infektionsschutzmaßnahmen – alles vorhanden. „Das Risiko des Museumsbesuchs liegt vielmehr prinzipiell im Potential seiner Inhalte“, schrieb das unartige Kolumba-Team im seinem dritten „Corona-Statement“ (sind unterhaltsame Texte eigentlich auch untersagt?). | Es passiert schon selten, dass rund vierzig deutsche Museumsdirektor*innen quasi über Nacht eine gemeinsame Protestnote formulieren und in die Welt schicken, die derzeit andere Sorgen zu haben scheint. Kultur ist Freizeit, erklärt uns Herr Laschet lapidar. Nein. Wir brauchen, gerade in diesen Wochen, Freiräume zum atmen, geistige Nahrung, Diskurs, Schönheit – als Individuen und als Gesellschaft. Sonst werden wir irre. Oder dumm. Oder krank. (Melanie Weidemüller, Erwünschte Nebenwirkungen. Die Museen, Kunstvereine und Off Spaces sind leer. Warum nur?, Stadt-Revue, 12/2020, S.57)

»Raum 21, der höchste der drei Ecktürme im Tageslichtgeschloss der schönen Kunstburg Kolumba, ist der Saal der Malereihelden geworden, so kann man jedenfalls den Eindruck gewinnen. Große Formate, große Gesten haben dort ihre Heimstatt. Robert Klümpen (*1973), der bei Bedarf gerne den großen Auftritt beherrscht, setzt bei seiner „gut und gern“-Ausstellung in diesem Raum aber weitgehend auf kaum mehr als schulheftgroße Formate. | Ein auf Augenhöhe hängender Fries aus mehreren Dutzend Bildern zieht sich über die Wände. Es sind kleine Malereiexerzitien, ein mit lockerer, sicherer Hand gearbeitetes, zu kreisendem Abschreiten einladendes Panorama aus Zitaten (vor allem Porträts der frühen, expressiven Moderne) und Anspielungen, Mustern traditioneller Genres wie Stillleben, Akt und Landschaft. Dazwischen finden sich Rätselstücke und wie ausgestrichene Bilder – und vor allem blasenförmige Gebilde, die wie Platzhalter einer noch offenen Motivik wirken. Farbkräftige, gemalte Linien rahmen jedes dieser Bilder, bekräftigen das Nachbildhafte dieser Serie. | Wer die Kleinformate betrachtet, hat zugleich ihr Gegenteil, ihr Gegenstück im Blick, im Rücken. Robert Klümpen hat rauminszenatorisch geschickt eine nicht eben bescheiden dimensionierte Architektur aus Malerei etwas außer der Mitte des großen Saals platziert. Feierlichkeit und Ironie überlagern sich in diesem Bilderbau, der aus acht großformatigen Farbmalereien besteht. Diese acht Bilder huldigen jeweils einem dominanten, aber keineswegs reinen Farbton. Sie bilden die auf einem gestuften Holzsocken ruhenden Außenwände eines unbetretbaren, erkennbar leeren Raumes, einer schlichten Lattenkonstruktion, die mit der Andeutung eines Daches abschließt, unter dessen Spitze eine silberne Diskokugel prangt. | „Cella“, heißt dieses Werk, was der innere Hauptraum eines antiken Tempels, aber auch eine christliche Kapelle sein kann, wie die ebenfalls oktogonale „Madonna in den Trümmern“ im Erdgeschoss. | Die acht Malereien führen – wie eine monumentale Palette – Farbe als Grundlage aller Malerei vor Augen. Zugleich distanzieren sie sich vom Pathos des Elementaren, Essentiellen, indem Rahmenlinien die Farbzonen wie gemalte Anführungsstriche einfassen. Ist „Cella“ ein beim Drumherumgehen in Bewegung geratendes Farbenkrussel auf dem Jahrmarkt der Malerei oder doch ein Kunstsakralwerk? Und „gut und gern“ eine Feier der Malerei? Eine Folge von Fragen? Oder alles auf Einmal?« (Jens Peter Koerver, Alles dreht sich. Robert Klümpen bespielt mit „gut und gern“ den Bilder-Raum von Kolumb, Stadtrevue 6/2020)

»Eine besonders eindrückliche Installation ist derzeit in Kolumba zu sehen: ein fragiles Konglomerat, das ins Offene strebt und doch zusammenhält („Liegt alles noch vor uns“, 2019, versch. Materialien und Werke 1984 ff.) Kolumba hat Heiner Binding im Rahmen der Jahresausstellung „Aufbrüche“ eine Schau mit Arbeiten aus vier Jahrzehnten eingerichtet, von den Zeichnungen der Anfänge (Aufbrüche!) bis heute sind alle Werkphasen vertreten. „…ich habe die Ohne-Titel-Fraktion verlassen“ hat Binding sie betitelt. | Es ist eine kleine, sorgsam ausgewählte und inszenierte Auswahl, die den turmhohen Raum 21 des Museums zum Schwingen bringt und den Betrachter in jene Fragen verstrickt, die dieses malerische Werk antreiben. Wann wird etwas überhaupt als gestaltetes Objekt wahrgenommen? Farbe als profaner Anstrich, als Malerei? Dieser Ansatz verortet Bindings Arbeit, bei aller Zeit-Melancholie, im Hier und Jetzt der Gegenwart.« (Melanie Weidemüller, Ins Offene gezielt. Seine Bilder wirken wie Strandgut, arrangiert mit größter Genauigkeit: Ein Porträt des Kölner Malers Heiner Binding Stadtrevue 3/2020)

»Man muss den Blick heben: An der Wand im Raum 6 im ersten Obergeschoss des Kolumba Museums hängen die Holzschnitte aus der Mappe „Lebendige“. Aber sie hängen nicht in Kopfhöhe, man muss eben aufblicken. Die Lebendigen sind alle tot, ermordet: Karl Liebknecht, Jean Jaurés, Rosa Luxemburg, Jurt Eisner, Eugen Leviné – sozialistische Politiker und Revolutionäre, die ihr Engagement mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Mappe wurde von jungen rheinischen Künstlern, darunter Franz Wilhelm Seiwert und Angelika Hoerle, gestaltet und herausgegeben – 1919, mitten im deutschen Bürgerkrieg um Revolution und Konterrevolution. Seiwert und Hoerle hatten sich rasant politisiert und sich bereits von Dada, das ihnen zu bürgerlich war (!), distanziert. Im Kolumba wird aber eine andere Geschichte erzählt als die einer politischen Radikalisierung: Der Blick von unten auf die „Lebendigen“ ist einer auf Ikonen, die Anrufung der Toten als lebendig hat etwas transzendentales, und der direkte Bezug dieser Holzschnitte sind frühere Arbeiten von Seiwert, die von einem tiefen spirituell-religiösen Empfinden sprechen. Conrad Felixmüller, auch der gehört in diesen Zusammenhang, zeichnet Luxemburg und Liebknecht gar als Engel. Der – gescheiterte, niedergetretene – politische Aufbruch von 1919 war grundiert von Hoffnungen und Erlösung und Erweckung, die zum utopischen Gehalt der christlichen Religion gehören – einer Rückbindung an alte, uralte Zeiten. | Das ist natürlich das Kolumba-Thema: Die Konfrontation moderner und zeitgenössischer (säkularer!) Kunst mit religiösen Motiven, mit Verweisen auf die Kunstgeschichte des Christentums. Lustvoll provokant spielen Epochengrenzen und kunstgeschichtliche Einteilungen keine Rolle. Das Museum ist souverän genug, die Konfrontation niemals eindeutig (und also parteiisch) zu arrangieren: Man kann die Arbeiten der radikalen Rheinländer als Säkularisierung christlicher Energien verstehen, als Aufladung kommunistischer Agitation mit christlichen Motiven oder aber als Aufhebung der Religion in ein universales Band menschlicher Solidarität. Die Jahresausstellung „1919 49 69ff. – Aufbrüche“ lässt das offen, gibt die Frage an uns zurück und fördert damit die Erkenntnislust, Bezüge herzustellen, nach utopischen Strömen in den Bildern und Installationen zu suchen, Brüche zu entdecken. | Zum Beispiel der wuchtige Holz-Propeller von Victoria Bell, der einen zu Beginn im Foyer begrüßt: Er würde eine Unwucht produzieren, die jedes Gefährt, das mit ihm ausgestattet ist, zerstören würde. Ist das schon die Selbstkritik der Ausstellung? Dass jeder Aufbruch destruktive Kräfte mit sich bringt, die ihn zu verschlingen drohen? Bells Propeller ist auch eine Anspielung auf ein künstlerisches Minimalprogramm von Marcel Duchamp, der 1912 die Malerei für beendet erklärte und den Propeller als Inbegriff von Modernität feierte. Der zwei Jahre später ausgebrochene Krieg war auch der erste Luftkrieg, die Propellerflugzeuge lieferten sich mörderische Schlachten. | Oder das zweite Obergeschoss, wo es zunächst um „1919“ geht – ein ganz anderer Aufbruch, gequält, ärmlich, zerrissen, existenzialistisch verstock. Gerhard Altenbourgs auf Packpapier regelrecht zerrissener „Ecce Homo“ ist das Schlüsselwerk in diesem Raum. Keine „Lebendigen“ mehr. Zum Kontrast gibt es ein „Sitzmöbel für die Wandelhalle des Ersten Deutschen Bundestags“ von Hans Schwippert, im Prinzip nüchtern-schlicht, aber eine Spur zu klobig, auch verschnörkelt – kein unbefangenes Design. Das Begleitheft zur Ausstellung bringt zu diesem Stück ein sarkastisches Zitat des Schriftstellers Wolfgang Koeppen über die Machtlosigkeit des unabhängigen Geistes in den feisten Jahren des Wiederaufbaus. | Aber der Geist wurde beschworen – der religiöse: Karl Hugo Schmölz‘ Fotoserie „Prozession zum Kölner Domjubiläum“ von 1948 demonstriert das Bedürfnis nach „Remythologisierung der Stadt“, wie es im Begleitheft heißt. Kein Kaufbruch des Geistes, wie nach 1919, sondern seine Rückbindung an ein Heiliges Köln, das, davon zeugt die Trümmerlandschaft, durch die sich die Prozession schlängeln musste, untergegangen war. Von dieser Arbeit kann man zur heiligen Armut eines Michael Buthe springen, dessen Installation „Die Heiligen Drei Könige“ (1989) aus maximal wertlosen Materialien besteht und die unverschämt charmant mit der großen ‚Filzstiftarbeit „Ain Labirint“ von Frederic Kaul harmoniert – einem Kindergartenbild von 2017. | Man kann unzählige Bezüge herstellen, es ist wohl die bislang dichteste und anspielungsreichste Jahresausstellung des Kolumba, die zudem viel fremdes und autonomes Material bietet – Ausstellungen in der Ausstellung. Etwa die Klang-Architekturen von Bernhard Leitner (die wir paradoxerweise nicht hören, sondern sehen) im Nordturm und das witzige, verspielte „Klaus-Peter Schnüttger-Webs Museum“ im Ostkabinett, das ein Feuerwerk an Kunst-Fakes abbrennt. Aber auch dieser mächtige Findling wird, wenn man so will, gerahmt: Einen Raum weiter, im Ostturm hängen zwei gemalte USA-Parodien des großen, bösen Blasphemikers Blalla W. Hallmann (1941 – 1997). Ist das jetzt Vereinnahmung, dass sie im „Kunstmuseum des Erzbistums Köln“ hängen? Das Lachen bleibt einem Halse stecken. Gut so.« (Felix Klopotek, Die Beschwörung des Geistes. „Aufbrüche“, die neue Jahresausstellung in Kolumba, ist anspielungsreicher denn je, Stadtrevue, 11/2019)

»Die Jahresausstellungen im Kolumba leben nicht nur grundsätzlich von der Konfrontation und dem Dialog zwischen alter, sakraler Kunst und zeitgenössischen Positionen, sondern auch von mannigfaltigen Akzentverschiebungen und Einsprengseln, die über das Jahr verteilt sind. Dazu gehören aktuell die Arbeiten auf Papier der Kölner Künstlerin Bärbel Messmann, die seit Anfang Juni im Raum 15 des Kolumbas zu sehen sind. Der Raum ist nicht unerheblich, befindet er sich doch in unmittelbarer Nähe zu den Räumen 18 und 19, in denen die streng konstruierten, vom Geist des Ingenieurs durchdrungenen und doch zutiefst sinnlichen Bilder und Drucke von Attila Kovács hängen. Die Arbeiten korrespondieren durchaus miteinander. Denn wie Kovács geht es Messmann um präzise Setzungen und Exaktheit, die sich aber real ganz anders äußert: überhaupt nicht streng, sondern sehr zart und vorsichtig. Sinnlichkeit heißt hier Behutsamkeit – und schier unendliche Differenzierung. „Die Farbe pendelt. Sie ist Vermittlerin zwischen zwei Farben, die wir nicht kennen“, hält Messmann fest. Was ist das Wesen von Grün? Es löst sich auf in Schattierungen. Messmann lotet auf 18 Blättern und einer Vitrine den Zusammenhang von Farbe und Licht aus – ein Zusammenhang, der die Zeit hervorbringt, denn auf Dauer verändert Licht Farbe. Begleitend veröffentlicht das Kolumba ein Künstlerheft von Messmann: „Ingwergelb – Schattengrün“ versammelt drei originale Farbproben und Aphorismen der Künstlerin.« (Felix Klopotek, Stadt-Revue, 7/2019, S.69/70 )

»Es ist wie jedes mal, wenn das Kuratorenteam im Kolumba die Kunst neu arrangiert hat: Man glaubt, die einzelnen Räume im Zumthor-Bau ganz neu zu erleben. Mit jedem Jahr mehr stellt sich ein weiterer Effekt ein: Erinnerungen an früher Gesehenes werden reaktiviert, die frischen Eindrücke überschreiben vergangene Inszenierungen, ohne sie auszulöschen, eher überlagert sich Anwesendes und Abwesendes in der Art eines Palimpsests. So ergeben sich Bezüge nicht nur in der räumlichen Zusammenschau von Werken, sondern auch in die Tiefe der Zeit. Das ist eigentlich ein schönes Bild für das menschliche Dasein, das aufgespannt ist zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Kolumba hat sich längst darin bewährt, solche sinnstiftenden Zusammenhänge aufs Schönste augenscheinlich zu machen. Vielleicht mehr denn je gilt dies für die elfte Jahrespräsentation „Pas de deux – Römisch-Germanisches Kolumba“, die sich leichtfüßig durch geografische Räume und Epochen bewegt. | Die erste Zeitreise wartet im Foyer mit Blick in den Zen-inspirierten „Klostergarten“. Zuletzt begrüßten den Besucher hier ein seltsames Völkchen Humanoider aus Krimhild Beckers Robotor-Sammlung, jetzt liegt da ein abgeschlagenes Medusenhaupt, Marmor, entstanden im 3. Jh., ausgegraben in Rom. Medusa, die sterbliche der drei Gorgonenschwestern, hat ihren Schrecken verloren, still, wie schlafend ruht der große Kopf auf einer schwarzen Steinplatte. Bekannt ist die antike Skulptur auch als „Medusa Wallraf“, nach dem Stifter Franz Ferdinand Wallraf; heute gehört sie zur Sammlung des Römisch-Germanischen Museums (RGM). Damit sind Stichworte gesetzt: Die 2000-jährige Stadtgeschichte und die geheimen Beziehungen der Kölner Museen untereinander. | „Römisch-Germanisches Kolumba“ – was hat es auf sich mit dieser Kooperation zweier Häuser, die man normalerweise nicht in einen Topf werfen würde? Der praktische Anlass: Das RGM muss für eine Generalsanierung des 70er-Jahre-Baus an der Domplatte schließen. Inhaltlich ist die Idee völlig plausibel: Kolumbas eigene Sammlung dehnt sich über 2000 Jahre bis in die Gegenwart und umfasst christliche wie freie und angewandte Kunst, so dass die antiken Stücke sich wie selbstverständlich einfügen. Zudem ist die römisch-christliche Geschichte Kölns an diesem Ort – der Zumthor-Bau integriert auch ein archäologisches Grabungsfeld – besonders spürbar. So ist dieses „Pas de deux“ zweier Sammlungen wohlbegründet, aber alles andere als ein verstaubtes Gelehrtenstück. | Der Ausstellungstitel ist dem Höhepunkt des klassischen Ballett entlehnt, die Freiheit und Experimentierlust der Inszenierung wohl eher dem Jazz – was insbesondere den Exponaten des RGM gut bekommt. Im Obergeschoss gleich ein Schlüsselwerk: „Fred“ heißt die knapp zehnminütige Videoarbeit von Annamaria und Marzio Sala, in der Fred Astaire und Cyd Charisse ihr Pas de deux aus dem Filmmusical „The Band Wagon“ von 1953 tanzen, während sich im Hintergrund mehrere Typen eine wüste Schießerei liefern. Das Filmzität, verfremdet und sorgfältig neu choreografiert, zeigt jene Lust am Spielerischen, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht. | Tanz, das ist Bewegung in Raum und Zeit, übersetzte Musik, sinnliches Denken, eine nonverbale Sprache. Kunst, Lebendigkeit, Schönheit, Emotion, Zartheit, Provokation, Eros, Totentanz – im Tanz spiegeln sich die vielfältigen Aspekte des menschlichen Lebens, die die Ausstellung befragt. Und so allgemein das Menschsein verhandelt wird, so präzise zeigt sich die Inszenierung im Konkreten. |Man kann eigentlich nur beispielhaft Räume und Werke aus dieser Wunderkammer hervorheben. Da ist Raum 10, dessen Motto „Vielgesichtigkeit“ lauten könnte: Skurrile antike „Gesichtsurnen“ aus Ton, jede individuell, wulstige Brauen, herausgestreckte Zungen im Dialog mit einem zeitgenössischen Werk, Bénédicte Peyrats Tablau aus 91 karikaturhaft gemalten Männergesichern, dazu als gleichmütige Beobachterin eine von sechs Engeln umrahmte Maria (15. Jh.). | Während man sich vor vielen liebevoll arrangierten Vitrinen in Detail verlieren kann, bietet der zentrale Saal im zweiten Obergeschoss ein besonderes Raumerlebnis: Auf einem kniehohen Podest in der Mitte des Raumes sind gefühlt hunderte von Gebrauchskeramiken – Kannen, Vasen, Becher, Schalen – aus zwei Jahrtausenden lässig arrangiert, an den Wänden lässt das fröhlich jonglierte Porzellan in Anna und Bernhard Blumes Fotoserie „Vasenextase“ den Schwerbenhaufen schon erahnen. | Einer der drei Turmräume sticht ebenfalls hervor: Wie perfekt hier Dieter Kriegs monumentaler Malerei-Zyklus „In der Leere ist ist nichts“ (1998) mit einem filigranen, farbig verzierten Diatretglas aus dem 4. Jh. korrespondiert, das ist schon ein Coup. Das Glas trägt in purpurnen Buchstaben den griechischen Schriftzug „Trinke, lebe schön immerdar“, der melancholisch das Leben feiert wie diese ganze Ausstellung. | Der grandiose Reichtum dieser Stadt und ihrer Museen steht immer wieder im Missverhältnis zum politischen Willen, ihn zu pflegen, zu finanzieren, kurz: dieses Potenzial auszureizen. Insofern hat dieses Gemeinschaftswerk zweier erstklassiger Häuser etwas vorbildliches, ohne auftrumpfend zu werden. Unbedingt zu empfehlen ist der neue Taschenbuch-Guide, ein feiner Zwitter aus Wissenschaft und Poesie. „Genauigkeit produziert eine eigene Art des Schönen“, ist da zu lesen (Michael Oppitz). Solche Art Schönheit ist auch in dieser Ausstellung zu erleben.
(Melanie Weidemüller, Präzision und Zärtlichkeit. Mit der Ausstellung Pas de deux – römisch-germanisches Kolumba zeigen sich zwei Kölner Museen von ihrer besten Seite, Stadtrevue 11/2017)

»In ihrer Ausstellung, die sich über fünf Räume von Kolumba verteilt, stellt die aus Wales stammende, in Berlin lebende Bethan Huws eine Gretchenfrage: Warum noch mehr Kunstwerke schaffen, wenn man schon die nicht versteht, die es bereits gibt? So lautet der Text in einer ihrer sogenannten „Wort-Vitrinen“, Glaskästen mit Steckleisten für bewegliche Buchstaben, die gleichzeitig Texte und gerahmte Bilder sind. | Die Kunst von Bethan Huws liefert mögliche Antworten auf diese Frage. Eine davon lautet, dass Verstehen kein abschließbarer Prozess, sondern ein endloses Spiel mit Variablen ist. So versieht die Künstlerin ein Fenster mit einem Vorhang, der mit dem Wort „CERTAIN“ bedruckt ist – ein Wortspiel mit „curtain“, dem englischen Wort für Vorhang, ine Anspielung auf Ludwig Wittgensteins Text „Über Gewissheit“ und eine produktive Intervention in einem Haus, das auf Fragen von Glauben und Zweifel spezialisiert ist. Im Zentrum von Huws’ künstlerischen Überlegungen steht erklärtermaßen das Werk von Marcel Duchamp, dem die Kunstwelt seit über hundert Jahren das Readymade, den zum Kunstwerk erklärten Alltagsgegentand verdankt.| Huws spielt mit Duchamps Einsicht, dass Kunst nicht eine Frage der Ästhetik, sondern eine der Geltung ist: Auf zwei Tischen begegnen sich sorgfältig von ihr arrangierte Alltagsgegenstände aus der Sammlung des Museums und von Huws ausgewählte Naturobjekte – ohne dass man die Frage, ob die Alltagsdinge dadurch ebenfalls zu Kunst geworden sind, mit dem Auge allein beantworten könnte. Ein gründliches Interesse an Duchamp wäre unvollständig ohne eine Hommage an seinen ganz unironischen Erotismus, den Huws in ihrer Filmprojektion „The Chocolate Bar“ (2005/06) gebührend feiert. Dreh- und Angelpunkt der Arbeit ist das Wort „Mars“, das einen Frühlingsmonat einen Kriegsgott, einen Planeten und einen Schokoriegel bezeichnen kann. Der Film kontrastiert eine Kaskade sprachlicher Missverstände, die um den Begriff kreisen, mit dem – herrlich überzogenen – sprachlosen, aber nicht stummen Genießen der Schokolade durch einen männlichen Darsteller, Anspielung auf Duchamps Vorliebe für das (autoerotische) Junggesellentum. Sprache, fand Duchamp, ist gut für Vereinfachungen, aber ziemlich ungeeignet, um „36 Schattierungen einen Gefühls“ zum Ausdruck zu bringen.« (Barbara Hess „Fragen über Fragen“, Bethan Huws interveniert in Kolumba in: Stadtrevue von 06/2016)

»Dieses Kunststückchen schleicht sich aus dem Augenwinkel ins Bewusstsein. Eine Sache von Sekunden. Man steht zum Beispiel im Kiosk an der Aachener Straße, der Blick streift Zigaretten, das Alkoholregal, dort lehnt ein iPad, darauf zwei applaudierende Anzugträger; soweit so tausend mal gesehen. Aber die Herren hören einfach nicht auf zu klatschen. Eine Endlosschleife, resistent gegenüber schneller Deutungswut (Ähnelt der eine nicht Dick Cheney? Wann, wo, warum?), je länger man schaut, desto sinnentleerter wird die Geste. Aber einen Moment steht die Warenwelt still. Eingeschleust hat den Agenten der Künstler Olaf Eggers: Für seine mit Kolumba realisierte Aktion „Shopmovies“ hat er an sechs Orten in der Innenstadt iPads platziert. Ein Relitätspartikel (kurz, leicht, schnell erfassbar) extrahieren, minimal bearbeiten, zurück ins Umfeld setzen – so erklärt Eggers seine Arbeitsweise. Eine präzise Setzung, maximal beiläufig, die unterhalb des Kunstradars das Alltagsgeschäft infiltiert. Applaus Applaus – für diese Art uns zu verstören.« (Melanie Weidemüller, Shopmovies, Stadt-Revue, 01/2016, S.70)

»Die neue Ausgabe eines christlichen Gesangbuchs, ein Thema für die StadtRevue? Nun, wenn die Katholische Kirche in ihr „Gotteslob“, dem 1975 erschienenen Gebets- und Gesangbuch für alle deutschsprachigen Bistümer, erstmals freie Zeichnungen integriert und dafür die Kölner Künstlerin Monika Bartholomé anfragt, wird es schon ein Thema. Erst recht, wenn in der musealen Präsentation dieser Arbeiten auch Bartholomés umfassendes Projekt „Museum für Zeichnung“ vorgestellt wird. Für die Ausstellung hat Kolumba seine erste Etage freigeräumt: Das Museum im Museum präsentiert in Originalzeichnungen, Postkarten, Publikationen und Filmen eine persönliche und zugleich umfassende Definition der Zeichenkunst. In ihr finden die Werke fürs „Gotteslob“ mit Tattoos, Kalligraphie, Comics, Ritzzeichnungen und Animation gemeinsame Nenner.« [Es folgt ein ausführliches Interview] (Oliver Tepel, Der Mensch ist ein Zeichner. Monika Bartholomé präsentiert ihr Museum für Zeichnung der ÖffentlichkeitStadtRevue 06/2015

»…eine zerbrechliche, würdige Empfangsdame aus Alabaster-Bruchstücken, still, anmutig, staunenmachend. In dieser Tonart ist die gesamte, sehr aufgeräumte Ausstellung gestimmt, die um das katholische "Gaudium et Spes", Freude und Hoffnung kreist. Entdeckungen? Aber ja: etwa eine Skulptur der 1981 geborenen, in New York lebenden Esther Kläs, die eines der Turmzimmer mit ihrer ganzen verblüffenden Präsenz füllen darf… Freude bereiten auch die große "petersburger" Wand mit Zeichnungen nach der Natur, Birgit Antonis früher Animationsfilm "Schmetterling" oder (was schlummert noch alles in dieser Sammlung?), vierzig auf Reisen gezeichnete Blätter des leichthändigen Meisters Richard Tuttle. Wer befürchtet hatte, das "Prinzip Kolumba" mit welchsenden Jahresausstellungen könnte sich erschöpfen, den Kuratoren die Ideen oder die Sammlungsbestände ausgehen, wird auch mit der nunmehr achten Neu-Inszenierung sanft eines Besseren belehrt." (Melanie Weidemüller. Kolumba playing by heart, in: Stadt-Revue, 11/2104, S.67)

»Das Kölner Kolumba lud Bruno Jakob nun zu einer Intervention innerhalb der Jahresausstellung 'zeigen verhüllen verbergen. Schrein' ein, und in der Tat passt diese exentrische Position hervorragend zum Kontext. Der 1954 in der Schweiz geborene, in New York lebende Künstler beschäftigt sich schon seit 1968 mit seinen 'Invisible Paintings', wie er seine Malerei mit unsichtbaren Materialien nennt. Es geht um den Versuch, die Kraft der Imagination selbst darzustellen.« (Sabine Elsa Müller, Schneckenmalerei und tiefer Schlaf, in: Stadt-Revue, 4/2014, S.50)

»Kölns schönstes und eigensinnigstes Museum sammelt nebenbei auch Auszeichnungen. Dieses Jahr die "Große Nike" des BDA, und gerade wählte die Deutsche Sektion des AICA (Internationaler Kunstkritikerverband) Kolumba zum "Museum des Jahres 2013". Manchmal trifft es den richtigen.« (Stadt-Revue, Januar 2014, S.29)

»Jedes Jahr baut sich diese Spannung auf: Nach kurzer Umbauzeit präsentiert sich Kolumba – immer zum gleichen Termin am 15. September – mit einer komplett neuen Präsentation seiner Sammlung, die nun wieder für ein ganzes Jahr lang für eine eigenwillige Kunsterfahrung wie auch für Diskussionsstoff sorgen wird. "zeigen verbergen verhüllen. Schrein – Eine Ausstellung zur Ästhetik des Unsichtbaren" laut der programmatisch assoziative Titel in diesem Jahr. Während man geduldig mit den Pressekollegen vor den Türen des Museumsbaus auf Einlass wartet, wir einem plötzlich bewusst, wie sehr die Metapher des Schreins, der etwas noch viel Kostbareres in sich birgt, verhüllt und damit gleichzeitig aus der Masse hervorhebt, auf den vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor entworfenen Bau selbst zutrifft. Das Kunstmuseum des Erzbistums ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Es beherbergt einen imposanten sakralen Schatz an Malerei, Skulptur, liturgischem Gerät, Gewändern, goldenen Monstranzen, Büchern, Prozessionsfahnen und vieles mehr, der sämtliche Epochen bis zurück zum frühen Mittelalter umfasst. 1990 erlebte das Museum mit dem Amtsantritt von Joachim M. Plotzek eine Zäsur, denn er öffnete das Museums für die Gegenwartskunst. Im Neubau trägt Stefan Kraus seit 2008 die Verantwortung für wechselnde Dialoge von sakraler und profaner Kunst, Alt und Neu, Hochkunst und Angewandter Kunst und die eigenwilligen Fragen, die Kolumba aufwirft: Was macht einen Gegenstand zur Kunst? Was sind uns die Dinge, mit denen wir uns täglich umgeben wert? Ist spirituelles Erleben an Heiligenbilder gebunden oder stellt es sich auch bei einem abstrakten Gemälde ein? Bei der nun schon siebten Jahresausstellung geht das Konzept auf. Der Rundgang ist von mächtigen Blöcken akzentuiert, die von Station zu Station spiralförmig in die 2. Etage leiten, in das Innerste und gleichsam Allerheiligste. Dort glänzt die Ausstellung mit spektakulären Leihgaben aus dem Siegburger Kirchenschatz: Das Paradestück ist der Anno-Schrein von 1181, der als Vorläufer des Dreikönigen-Schreins im Kölner Dom zu den kostbarsten Goldschmiedewerken seiner Zeit zählt. Begleitet von drei weiteren, etwas kleineren Schreinen bildet sich hier ein sakrales Zentrum, das verüllt, was es in sich birgt. In umgekehrter Reihenfolge von innen nach außen betrachtet, legt sich um dieses Zentrum eine diaphane Hülle in Form der wunderbar ambivalenten Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Max Cole (* 1937), deren Werk einen weiteren Schwerpunkt bildet. Ihre aus feinen horizontalen und vertikalen Linien und luziden Bändern aufgebaute Malerei wirkt nüchtern und beunruhigend zugleich, flächig und unendlich tief, wechselhaft und unggreifbar. Die angrenzenden Räume bieten immer wieder überraschende, vor allem sehr unterschiedliche Eindrücke. Die 22 Räume des Hauses erfordern dramaturgisches Geschick. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Einige sind niedrig, andere turmhoch, manche schmal und lang, dramatisch beleuchtet, liegen in schummrigem Dämmerlicht oder sind lichtdurchflutet. Durch die Haupträume spannt sich ein gleißend polierter, fast weißer Terrazzoboden, auf dem die Besucher wie auf Wasser zu wandeln scheinen, während der Lehmputz der Wände für eine warme Ausstrahlung sorgt. An diesem sensiblen Wänden wirken die blauen Bilder von Rudolf de Crignis (1999) noch unwirklicher, schwebender und entrückter als sonst. Skie teilen sich den Raum mit einem mächtigen Heilig-Geist-Retabel aus einer Nürberger Werkstatt von 1449, als spannende Gegenüberstellung formal völlig unterschiedlicher Lösungen der Frage nach der spirituellen Malerei. Es lassen sich viele Neuentdeckungen machen, wie die beeindruckende Halbfigur von Hans Josephsohn (1996) oder die bisher noch nie gezeigten feinen Radierungen von Gerhard Altenbourg (1985-88). Die lebendige, von Licht modulierte Oberfläche von Jeremias Geisselbrunns Muttergottes mit Kind aus Alabaster (um 1650) korrespondiert in einem sehr reizvollen Kontrast mit den wenigen Pinselstrichen und der meditativen Tiefe des kleinen Jawlensky-Bildes (1937) ihr gegenüber. Ein Schrein kann aber auch ein modernes Gerät sein, wie beispielsweise ein Fernsehrgerät aus der Sammlung Schriefers, ein Radiogerät oder ein Toaster, eine Thermoskanne oder eine alte Plattenkamera – so unerschöpflich das Thema, so vielfältig und spannend diese Ausstellung.« (Sabine Elsa Müller, Heiliger Schrein trifft profane Wunderkisten, in: Stadtrevue, 12.2013, S.61)

»Kolumba ist Kolumba. Mit seiner Eröffnung 2007 hat sich dieses Museum als ein Kunstort eigener Art etabliert. Er zeigt Chronologien und sortenreine Einteilungen souverän ignorierende Ausstellungen sakraler Werke aller Epochen und mischt sie mit Kunst, Design und Kunsthandwerk der Moderne und Gegenwart. Die bisherigen Jahresausstellungen lassen sich als offene, um ein thematisches Motto gruppierte Arrangements beschreiben. Darüber ist fast vergessen worden, dass Kolumba nicht nur Kolumba ist, sondern auch „Museum des Erzbistums Köln“. Mit der neuen Jahresausstellung wird aus dieser kirchlichen Bindung mutmaßlich eine Verpflichtung. Sie steht unter dem Titel „Art is Liturgy. Paul Thek und die Anderen“. In dieser so griffigen wie durch ihren Allgemeingültigkeitsanspruch problematischen Formel – ein Thek-Zitat – werden Kunst und Gottesdienst gleichgesetzt, denn Liturgie bedeutet die „amtliche oder gewohnheitsrechtliche Form des Gottesdienstes“, wie es nüchtern im Duden heißt. In einer Pressemitteilung fasst das Museum Liturgie weiter, in ihr „wird die Geburt, Leben und Werk, die Passion, der Tod und die Auferstehung gefeiert, erinnert und vergegenwärtigt“. Nicht nur die einengende Bindung an einen theologischen Begriff, auch die Hervorhebung eines einzelnen Künstlers ist ein Novum, konventionelle Retrospektiven sind nicht Sache des Hauses. Auch für Paul Thek macht man keine Ausnahme. Fast immer sind seine im ganzen Haus verteilten Werke – Objekte, Zeichnungen und Bücher, Malereien – mit anderen Stücken kombiniert. Kolumba hat seit den 90er Jahren die weltweit größte Sammlung mit Werken des Amerikaners zusammengetragen. Paul Thek (1933 – 1988) ging es, auch und gerade im Sinne des Liturgischen, ums Ganze, um erste und letzte Dinge. Seine begeisterte, quälende Auseinandersetzung mit Gott und der Welt findet ihren Niederschlag in ebenso individuellen wie rätselhaften, verstörenden Werken. Vor allem seine plastischen Objekte handeln von einer sehr persönlichen Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper, der physischen Seite des Seins als Fleisch, und der Entgrenzung und Aufhebung eben dieses Körpers durch Tod und Erlösung. Thek zeigt ihn mal als ozeanisch zwischen Fischen schwimmenden, treibenden, lebensgroßen Leib („Fishman“, 1969), mal als aus Wachs gefertigten, fettgelben, geweberoten Fleischbrocken, der wie selbstverständlich von Schmetterlingen, den Seelensymboltieren schlechthin, umgeben ist („Technological Reliquary [Meatsculpture with Butterflies]“, 1966). Spielerischer, heiterer, manchmal naiv erscheinen seine Malereien, Zeichnungen und Radierungen. Aber auch diese Erdkugeln, Schlangen, Meere, Schwäne, Wale sind durch ihre Titel, anspielungsreiche Beschriftungen, nicht zuletzt die traditionelle christliche Symbolik inhaltlich aufgeladen und in heilsgeschichtliche Zusammenhänge eingebunden. Trifft für Thek das Schlagwort „Kunst ist Liturgie“ sicher zu, so ist zu fragen, wie es sich mit den „Anderen“ verhält. Michael Buthes prätentiös-pathetisches Spätwerk „Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit“ (1992) fügt sich bruchlos ins Kunstliturgische. Es besteht aus zwölf geschwärzten Kupfertafeln, die mit ihren gravierten, schwebenden Figuren und üppigen Ornamenten geheimnisvoll im Licht einiger Kerzen im Dunkeln schimmern. Überhaupt scheint diesmal in einigen Räumen eine besonders bedeutungsschwere Andachtsdunkelheit zu herrschen. Jannis Kounellis Goldwand „Tragedia civile“ (1975) leuchtet noch ein bisschen feierlicher als sonst in Raum 16. In ihrer Nachbarschaft tauchen Deckenstrahler diverse zeitgenössische Schalen, Becher und Vasen in auratisierendes Licht, zusätzlich erfahren sie im Begleitheft durch ein Zitat zur liturgischen Notwendigkeit von Gefäßen eine unfreiwillige Sakralisierung. Subtiler sind die Eingemeindungen anderer weltlicher Werke. Ob es sich um Literatur zur Bauhausbühne und George Brechts profane Handlungsempfehlungen handelt, die dem Rituellen zugeschlagen werden, oder um Jürgen Klaukes ironisch-circensische „Daseinsrenovierung # 1-6“ (1996 – 98), die durch eine benachbarte Pietà und Theks „Fishman“ in höheren Sphären entrückt wird, stets werden Werke in Zusammenhänge gestellt, die unter dem großen Begriffshimmel des Liturgischen angesiedelt sind Wie insgesamt diese Jahresausstellung stärker als ihre Vorgänger von einer hoch konzentrierten Bedeutungsdichte und Dauerfeierlichkeit geprägt ist, was auch mit der ungewöhnlich großen Zahl religiös motivierter Stücke zusammenhängen mag. Umso interessanter ist es, dass sich einzelne, eher unauffällige Werke diesem Sinnsog widersetzen. Manos Tsangaris „Pfähle“ (1982) fügt sich eigentlich passgenau ins liturgische Unterthema Prozession, doch sein dokumentierter nächtlicher Weg bleibt mit seinen lapidaren akustischen Funden – jeder Metallpfahl wurde unterwegs zum Klingen gebracht – ein nächtlicher Weg, eine Reihe von Klängen.
Dieser und ein paar anderen Arbeiten ist ein leiser, beharrlicher Eigensinn anzumerken, womit die Problematik der Ausstellung d deutlich wird. „Art is Liturgy“ ist eine konsequent kombinierte und wirkungsvoll arrangierte Ausstellung im immer weiter verfeinerten Stil des Hauses. Aber sie hält sich allzu streng und beflissen an die eigene thematische Vorgabe, verleibt dieser manches ein und verzichtet leider fast ganz auf Reibungen.« (Jens-Peter Koerver, Fleischklumpen mit Schmetterlingen. Mit seiner sechsten Jahresausstellung feiert Kolumba Paul Thek - und einen großen Kunstgottesdienst, in: Stadt-Revue, Köln, 10.2012)

»Erste Kontakte zu Kolumba entstanden 2005, als das gesamte Kuratorenteam, eine Ausstellung ihrer Künstlerbücher in Bochum besuchte. Viele Stunden waren sie dort. Diese intensive Auseinandersetzung hat Missmahl damals mächtig beeindruckt. Nach weiteren Gesprächen wusste er, dass das Museum ein wirkliches Interesse an der gesamten Kollektion und nicht nur an einigen Filetstückchen hat. Missmahl hat sich darin nicht getäuscht. Über ein dreiviertel Jahr aheb die Kuratoren gemeinsam mit dem Sammler die Ausstelung die begleitende Publikation "denken" erarbeitet.« (Cordula Walter, Das Buch der tausend Unikate. Das Sammlerehepaar Missmahl hat seine Künstlerbücher Kolumba vermacht, in: Stadt-Revue 1-12, S.88)

»Jedes Jahr eine völlig neu gestaltete Sammlungspräsentation, das käme anderen Museen nicht in den Sinn. Personal und PR-Aufwand investiert man heute lieber in als 'spektakulär' hochstilisierte Sonderschauen, die Dauerausstellung der eigenen Sammlung – eigentlich doch Herz jeden Museums – verkommt zur Beigabe. Es sei denn, man macht alles von Grund auf anders. Das Kunstmuseum des Kölner Erzbistums Kolumba, seit seiner Eröffnung im Zumthor-Bau 2007 so etwas wie das Synonym für die Ausnahme von der Regel des Kunstbetriebs, verzichtet auf das Prinzip 'Wechselausstellung'. Stattdessen erlebt man alljährlich im September die Inszenierung eines neuen Ausschnitts der Sammlungsbestände, die sich über 2000 Jahre von sakraler bis zu zeitgenössischer und angewandter Kunst dehnen. Dauerausstellung? Eher: Veränderung als Prinzip. Jede Jahresausstellung ein Spiegel der grenzüberschreitenden Sammlungstätigkeit des Hauses, ein Ergebnis fortwährender kuratorischer Auseinandersetzung und Denkprozesse; ein präzises Ausloten der einzigartigen Architektur. Mit diesem Konzept und der Weigerung, die Anbiederungsgesten, didaktischen Gängeleien und den Event-Aktionismus anderer Häuser zu kopieren, hat Kolumba seit der Eröffnung täglich 200 bis 400 Besucher angezogen und in den Medien höchstes Lob geerntet. Dass nun ein renommierter Kunstkritiker am 1. April in der FAZ den ersten Totalverriss veröffentlicht hat, zeigt beeindruckenden Mut zur Dissidenz. Er wäre zu begrüßen im Sinne der Streitkultur, hätte sich Eduard Beaucamp nicht in einer wüsten Polemik vergaloppiert. Beaucamp bauscht einen Bogen von Bildern als Glaubensretter bis zur Nähe von zeitgenössischer Kunst und Kirche, die 'diffuse Spiritualität und bizarre Experimentierlust' begrüße. Nach dieser Einstimmung lobt er das Würzburger Museum am Dom – barocke Fülle! DDR-Künstler! – und wettert gegen Kolumba. Man fühle sich versetzt in eine kahle Calvinistenkirche, wo 'freudlose Gruftästhetik', 'frostige Leere' und 'bilderfeindliche Bespielung' zum Credo erhoben würden. Rumms. Man reibt sich die Augen, sucht nach Beispiel und Argumentation, überprüft das Gesagte nochmals vor Ort beim Ausstellungsbesuch. Und fragt sich: Waren wir im gleichen Museum? 'Die Kirchen und die Gegenwartskunst', der Untertitel der Kolumne, zielt aufs Ganze. Das Verhältnis von Kunst und Religion ist ein weites, äußerst spannendes Feld und gut beackert, die Beschäftigung sei ausdrücklich empfohlen. Für Kolumba indes gilt: Eine Qualität dieses Museums in Trägerschaft der Kirche ist es, dass es weder Künstlern noch Besuchern solche Diskurse oder religiöse Bekenntnisse aufnötigt. Kolumba ist zuallererst ein Kunstmuseum, als solches kann und muss es mit den Kriterien gemessen werden, die Kunstgeschichte, Kritik und eine aufmerksame Wahrnehmung bereitstellen. Insofern wiegt es schwerer, dass Beaucamp offenbar die zur Kunstbetrachtung unverzichtbaren Sehnerven durchgegangen sind. Es wäre ein lässlicher Lapsus, dass er von 'Betonwänden' spricht, obwohl feinster Naturlehmputz im gesamten Haus die Ausstellungsräume prägt, folgte daraus nicht die Frage: Wenn ihm die sinnlichen Qualitäten von Lehmputz entgehen, was nimmt er dann wahr von der subtilen Materialität des Farbauftrags einer Leinwand? Man muss die radikale Malerei des Amerikaners Joseph Marioni, die derzeit einen Schwerpunkt bildet, nicht mögen – 'schwache zeitgenössische Monochromien' sind es gewiss nicht. Und so fort. Unterstellen wir wohlwollend: Der Kritiker war in Eile, das verträgt sich halt schlecht mit einem Museum der Entschleunigung. Damit zum Thema der vierten Jahresausstellung. Was für ein Feld für eine kontroverse Auseinandersetzung hätte Beaucamp hier gehabt – und belässt es beim Hieb auf das 'körperverleugnende Motto'. Doch auch das ist nicht Beton, sondern schimmert als Leitmotiv in den düsteren, lichten, brutalen, zarten Tönen, die die differenzierten künstlerischen Sichtweisen ihm verleihen. Das Museums-Team rückte das 'Noli me tangere!' (Berühre mich nicht, Halte mich nicht fest, Johannesevangelium) in den Kontext des Missbrauchsskandals, und die Kunst weitet diesen Blick. Mit vielgestaltigen Mitteln kreisen die Werke um Nähe und Distanz, Begehren und Respekt, Übergriff und Behutsamkeit. Im Kern: um die Integrität des Körpers und des Individuums. Da ist die drastische, in beunruhigenden Märchenton gekleidete Bildgeschichte 'Der große und der kleine Paul' von Michael Kalmbach, in der sich große Menschen der zarten, schmackhaften kleinen Menschen als Nahrung bedienen, bis ein vernichtendes Meer aus Kotze eine Utopie gebiert. Am anderen Ende des Spektrums ein weiteres zentrales Werk: die minimalistische Ton-Raum-Skulptur 'Pulsierende Stille' des Klang-Pioniers Bernhard Leitner, in deren Innerem der eigene Körper zum vibrierenden Klangmedium wird. Dazwischen viele Rauminszenierungen und einzelne Werke, die ebenso nachhaltig beschäftigen. Welche Qualität hat Berührung, Begegnung, Beziehung? Achtet oder verletzt sie Grenzen? Ergreift sie Besitz?
Man verlässt die Ausstellung mit angerauter Oberfläche und intellektuell herausgefordert. Man denkt vielleicht noch mal darüber nach, was dieses Haus so besonders macht. Kunst ermöglicht Grenzerfahrung, stellt existenzielle Fragen, macht Unsichtbares sichtbar, darin ist sie religiöser Erfahrung verwandt. Dass sie Glaubenssätze hinterfragt, ad absurdum führt, in letzter Konsequenz ketzerisch auftritt, macht sie zur Kunst. In beidem liegt ein Potenzial. Vielleicht ist es Kolumbas vornehmste Aufgabe, diese Reibung auszuhalten, aus ihr Funken zu schlagen, ein Ort der freien ästhetischen Erfahrung zu sein. Dass er als solcher immer auch gefährdet ist, sollte man nicht vergessen. Eduard Beaucamp gebührt Dank für den Anlass, sich die Qualitäten dieses Hauses noch einmal zu vergegenwärtigen.« (Melanie Weidemüller, Lob der Behutsamkeit. Eine Antwort auf Edouard Beaucamp, Stadtrevue Köln, Juli 2011, S.72)

»Mit der zweiten Sammlungspräsentation startete Kolumba im September auch die neue Reihe 'Raum 10', die künftig im dreimonatigen Wechsel Künstler vorstellt. Die Ausstellung von Heiner Binding entwickelt sich um eine barocke Marienskulptur aus grauweißem Alabaster im gleichen Raum, die 1945 zerstört und aus 70 erhaltenen Fragmenten wieder zusammengefügt wurde. Auch Bindings Malerei vermittelt in ihrer ungegenständlichen Sprache etwas von Brüchen und Verletzungen, wenn Linien abreißen oder Malschichten aufgeschürft werden, spricht aber auch von den Möglichkeiten, Widerstrebendes zu einem spannungsvollen Ganzen zu verflechten. Seine Arbeiten verbinden subjektive, emotionale Resonanzen mit Reflexionen auf die Geschichte der Malerei (Piet Mondrians Raster, Sigmar Polkes Stoffe, Cy Twombly Graffitis). Das gilt auch für das begleitende, ausgefeilt komponierte Künstlerheft mit dem Titel 'In der Gegend von Camus' – jenes Existenzialisten, der dazu riet, sich Sysiphos als einen glücklichen Menschen vorzustellen.« (he, Kölner Stadt-Revue, 12/2008)

»Dieses Ereignis muss bejubelt werden, Nüchternheit wäre völlig fehl am Platze. Revidieren müsste man dies nur, wenn die Kuratoren die Eröffnungsausstellung von 'Kolumba' komplett in den Sand setzen. Das aber ist unwahrscheinlich, denn eigentlich bereiten sie sich seit 1990 darauf vor.[…] Die Sammlung umfasst Werke von der Antike bis zur zeitgenössischen Kunst, ohne Trennung zwischen alter und neuer, angewandter und freier Kunst. Wie umsichtig und wirkungsvoll ein solches 'Crossover' inszeniert werden kann, konnte man in vielen Ausstellungen erleben. […] Kolumba hat den gleichen Eigensinn und langen Atem wie Peter Zumthor.« (Melanie Weidemüller, Kolumba wird eröffnet, Stadt-Revue Kölnmagazin, 9/2007)