Kolumba
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Gottfried Korff
Ein Museum im Gegensinn
Versuch einer Laudatio auf das Kuratorenteam von Kolumba

Laudatio anlässlich der Verleihung des Museumspreis 2009 der Kulturstiftung hbs an das Kuratorenteam von Kolumba, 5. März 2009.

Wir sind in einem Haus, dem es an Anerkennung nicht mangelt. Seit seiner Eröffnung vor nicht einmal anderthalb Jahren hat es Aufmerksamkeit, breite Aufmerksamkeit gefunden. Es ist geradezu zur Metapher einer neuen Sicht auf das Museum geworden, einer Sicht, die durch wachsende museologische Reflexion gekennzeichnet ist. Diese neue Sicht lässt sich als Reaktion auf einen lang anhaltenden, bis heute ungebremsten Boom lesen. Er hat in den letzten Jahren zu einer historisch unvergleichlichen Karriere des Museums geführt. Jüngst hat der Soziologe Heiner Treinen, Nestor der Museumsforschung in Deutschland, vom Museum als der - nach den elektronischen Medien – am stärksten expandierenden kulturellen Institution im nordatlantischen Kulturkreis gesprochen. Ganz zweifellos ist auch Kolumba ohne den Boom nicht zu denken. Aber wie aus dem ehrwürdigen Diözesanmuseum mit Kolumba ein Museum im Gegensinn, eine eigensinnige Kritik an den Mechanismen des Booms geworden ist , ist mutig und staunenswert, vielgerühmt und beispielgebend – und zwar als Architektur und als expositorisches Format, so wie es das Kuratorenteam erdacht und erprobt hat und schon zum zweiten Mal gekonnt und erfolgreich vorführt.
Die kuratorische Leistung steht, so ist die Meinung der Jury dieser Auszeichnung, gleichranging und gleichwertig neben der architektonischen Tat. Diese hat ihren Preis bereits gefunden, wie zur Zeit vor aller Augen, im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, sichtbar ist – in einer Ausstellung, die Peter Zumthor und Kolumba als Träger des Deutschen Architekturpreises 2008/09 gewidmet und noch bis zum 15. März zu sehen ist. Was die Architekturkritik an Zumthors Werk in hohen Tonlagen lobt, dass nämlich Kolumba eine Absage an die zunehmende Verspektakelung der Architektur darstelle, dass mit Kolumba Front gegen den Bilbao-Effekt gemacht werde, das gilt auch für das kuratorische Prinzip. Es beruht auf einem Konzept, das aus dem Wechselspiel von Architektur und musealer Installation seine impulsgebenden Energien bezieht.
Es ist eine symbiotische Konstellation, bei der das Eine auf das Andere verweist und das Eine das Andere produktiv herausfordert. Was an diesem Konzept beindruckt, ist, dass es gleichermaßen inspiriert und diszipliniert gegen den Mainstream der aktuellen Museumskultur Stellung bezieht, genauso wie es die Logik der Zumthorschen Kolumba-Architektur tut. Sie verweigert sich dem Fumagalli-Trend, einem Trend, der nach dem Schweizer Architekturtheoretiker Paolo Fumagalli benannt ist und der besagt, dass der expansive Museumsbau der letzten Jahre immer mehr Event-Räume und Zirkulationsflächen geschaffen hat – auf Kosten der Depots, der Studiensäle, der Lesezimmer, der Ding- und Bildinstallationen, die sich dem langen und ruhigen Blick aussetzen, also exakt jener Raumangebote, denen Kolumba hohen Rang beimisst. Konzentration und Reduktion rangiert vor Ausdehnung und Entgrenzung. So huldigt das hier praktizierte kuratorische Selbstverständnis einem Prinzip, das vor einiger Zeit von dem Kunsthistoriker Hans Belting in der Formel vom »Museum als eines Ortes nicht der Sensation, sondern der Reflexion« gefasst worden ist. Das entspricht der Askese und dem Purismus, die die Architekturkritik an Kolumba gerühmt hat. Und genau dies Prinzip kommt in den disziplinierten Raumeinrichtungen zur Geltung. Obwohl es um die kognitive und ästhetische Wirkung des Raumes weiß, betreibt das Museum keinen spektakelhaften Kult des Raumes, sondern lässt die Exponate mit ihren je eigenen Anmutungsqualitäten zu ihrem Recht kommen. Ungestört durch Erläuterungen und Textkommentare wird an die sinnliche Erkenntnis - und nicht anderes heißt ja aisthesis - appelliert.
Kolumba ist in der Tat ein »Ort der Wahrnehmung«, wie es eine kuratorische Selbsterklärung im Rückblick auf das erste Jahr feststellt, ein Ort, an dem Formen der Wahrnehmung eingeübt, geschärft und verfeinert werden – ruhig und unaufgeregt, jedoch gelenkt von Umsicht und Inspiration, eine Inspiration, die einerseits vom empfindsam wachen Blick auf die Gegenwart, andererseits vom informierten, ja gelehrten Blick in die Geschichte der Bilder und des Wissens um deren Wirkungen gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch an den museumshistorischen Erinnerungen, die kenntnisreich und deshalb beziehungsreich eingespielt werden. Ein Beispiel dafür ist etwa die Kunst- und Reliquienkammer, bei deren Betrachtung wir ein Bild davon erhalten, was wir nicht mehr sind, aber von dem unsere Blickweisen, Wahrnehmungen und Perspektiven immer noch geformt werden. Vor allem vermittelt die Kunst- und Reliquienkammer die tragende Idee des europäischen Museums, so wie sie von Peter Brown, dem britischen Mittelalterhistoriker dargetan worden ist. In seinem Buch »The Cult of the Saints: Its Rise and Function in Latin Christianity« hat er gezeigt, wie stark die Vorstellung von Authentizität, die Europas Dingkultur bis heute prägt, vom Reliquienkult bestimmt ist; und das Zwischen- und Bindeglied ist die Schatz- und Wunderkammer und deren Folgewirkung für die Entwicklung der europäischen Museumsidee.
Nicht »Wunderkammer«, um theologische Missverständnisse zu vermeiden, heißt der Raum in Kolumba, sondern Armarium (=Rüst- und Gerätekammer). Er bietet sich als inszenatorisch feste Installation – im Unterschied zu den Beziehungsspielen, die in den anderen Räumen mit ihren jährlich wechselnden Bildarrangements getrieben werden. Damit erinnert es an die grundlegende museumshistorische Bedeutung der Kunst- und Reliquienkammer – nicht lehrhaft, explizit und angestrengt, sondern eher beiläufig durch Sicht - und Beziehungskontakte. So wie es auch - zweites museumshistorisches Beispiel - an das Wechselverhältnis von Deponieren und Exponieren erinnert, das tief in die Geschichte des europäischen Museums eingeschrieben ist. Zwar ist die fast explosionsartige expositorische Erweiterung des Museumstätigkeit vor unseren Augen erfolgt, in den Jahrzehnten um die Jahrtausendwende, die wir gerade hinter uns haben, doch eine produktive Beziehung zwischen Bewahren und Zeigen, und zwar einem lebendigen Zeigen, begleitet die europäische Museumsgeschichte von ihren Anfängen an, selbst in jenen Jahrhunderten, die den Begriff des Museums, jedenfalls im heutigen Sinn, noch nicht kannten. Auf dieses Nebeneinander von im Museum schlafender Substanz und in variierenden Ausstellungen aufgeweckter Materie macht die Kolumba-Kuratie aufmerksam.
Das schöne, aufschlussreiche Beispiel von der im Museum schlafenden Substanz und der im Zeigen wachgeküssten Materie stammt aus einem der frühen Museumsessays Vladimir Nabokovs, der ins Kolumba-Jubiläumsheft aus dem Jahr 2003 aufgenommen worden ist und ein Beleg für die lange Suche nach einem besonnenen und innovativen Museumskonzept ist, wobei die Innovation durchaus auch aus den Traditionen der Institution, um die es geht, Impulse und Energien bezieht. Deponieren und Exponieren – beide Begriffe umschreiben das Programm von Kolumba. Museumsarbeit besteht hier in zwei unterschiedlichen, aber zusammenhängenden Modi – einmal im Modus der Potentialität (als umfassendes Depot der Bild- und Sachkultur, hier tief im Keller eingelagert), zum anderen im Modus der Aktualität (als dem von der Gegenwart neu perspektivierten Bestand an Zeichentägern im Depot, der ständig ergänzt wird). Dies geschieht in Kolumba vorzugsweise mit zeitgenössischer Kunst, Kunst von international hohem Rang: Bill Fontana, Richard Serra, Georges Rouault, Rebecca Horn und, und, und. So entstehen ungewöhnliche Dialoge quer durch die Jahrhunderte. Da werden Kontakte gesucht zur Wissenschaft (etwa in Manos Tsangaris Low-Tech-Machine), zum Alltag (so in Jannis Kounellis Tragedia Civile), zur Literatur (in Serras Sulptur) oder zur Politik (wie in Marcel Odenbachs DVD-Projektion). Man spürt auch bei diesen Installationen von 2008/09, dass die kuratorische Arbeit von der Lust an der analytischen Anstrengung, am dialektischen Spiel, an der permanenten Reflexion durchflochten ist.
Neues spiegelt sich im Alten, Altes wird im Neuen gebrochen und neu gesehen. Impulse aus der Gegenwart werden aufgenommen oder konterkariert. Kolumba schöpft aus dem Erbe, um Maß zu gewinnen, aber auch um selbstbewußt Widerrede gegen den kalkulierten Bilderterror einer visuell aufgeladenen Umwelt zu leisten. Dies alles geschieht mit kuratorisch leichter Hand – alles ist sinnlich, zugänglich, ansprechend, ohne Thesendruck und ohne Beweiszwang, aber gescheit und kundig arrangiert. Man merkt dem Gestaltungskonzept an, dass es in Wissen, in Deutungskompetenz und in Urteilssicherheit gründet. So steht Kolumba für ein Museumskonzept, das nicht allein der Bewahrung und Traditionssicherung (was es schon seit mehr als 150 Jahren tut), sondern auch der Kontemplation und Herausforderung dient. Was sich in immer wieder modifizierten, ja im Wortsinn ver-rückten Zuordnungen präsentiert, wirkt wie eine GPS-Beobachtungsstation in der allgemeinen Bilderflut, die uns umgibt. Nicht von ungefähr hat man die gegenwärtige, im September 2008 eröffnete Installation einen »Ort der Entschleunigung« genannt. Mit Mut und Konsequenz scheint Kolumba sich zu einer führenden Einrichtung im Umgang mit Bildern machen zu wollen, wobei »Bild« als eine offene Kategorie verstanden wird.
Kolumba ist ein überzeugendes, und wie man hört, auch vom Besucherzuspruch her erfolgreiches Museum. Es ist ein Modell, welches aufgrund seiner einfallsreichen und kenntnisreichen Dynamik, seiner Solidität und selbstreflexiven Sicherheit eine Auszeichnung und Würdigung verdient. Und dass diese Auszeichnung in Form des hbs – Museumspreises geschieht, ist kein Zufall, denn dabei handelt es sich um einen Preis, der von den ähnlichen Motiven und Prinzipien und dem gleichen Willen wie das Kolumba-Konzept angetrieben ist. Fast könnte man den Eindruck haben, dass der Museumspreis der hbs - Kulturstiftung eigens für Kolumba erfunden worden ist. Dabei ist der Preis schon etwas mehr als zehn Jahre alt und schon mehrmals verliehen worden – an Einrichtungen, die durch neue, zugleich kreative wie fundierte Präsentationen auf sich aufmerksam gemacht haben. Das waren ein naturgeschichtliches Museum, das mit gleichermaßen poetisch wie provokanten Modellen arbeitet, ein Wissenschaftsmuseum, das am Beispiel der Mathematik neue Strategien des PUSH, des public understanding science and humanities erprobt, und ein Literaturmuseum, das mit seiner szenographischen Gestaltung feste Raumkonturen auflöst und so aus der vielgescholtenen Flachware so etwas wie interaktive Dingarrangements schafft.
Der Museumspreis der hbs-Kulturstiftung ist also nicht einfach ein Museumspreis, sondern einer, der erstens konsequent auf museographisch Innovatives ausgerichtet ist und zweitens ausdrücklich der Kuratorentätigkeit gilt. »Vor allem werden«, so erläutert die den Museumspreis organisierende Stiftung ihren Zweck, »Ausstellungen prämiert, in denen ungewöhnliche Ideen verwirklicht werden, Ideen, denen Ästhetik und Didaktik ein individuelles Gesicht geben«. Und präzisierend heißt es: »Die Kulturstiftung konzentriert ihre Mittel auf die Vergabe eines Preises für Kuratoren und Ausstellungsmacher«. Es ist ein Preis, der ebenfalls aus dem Boom des Museums hervorgegangen ist, der aber – die irritierenden Auswirkungen des Booms vor Augen – darauf aus war und ist, neue Formate und neue Konzepte zu befördern, und zwar kluge, überlegte, eben reflektierte Formate – entsprechend dem Beltingschen Plädoyer von 2002, dass sich das Museum als Ort nicht der Sensation sondern der Reflexion zu begreifen habe.
Der Museumspreis der Kulturstiftung hbs ist ein Preis, hinter dem die Liebe zum Museum steht, vor allem aber auch das entschiedene Interesse, das Museum immer wieder an seine Potentiale, an seine didaktischen und ästhetischen Potentiale zu erinnern. In der Hochphase des Booms 1989 wurde der Preis gestiftet, als eine Intervention, um dem Nachdenken über das Museum und über das in ihm praktizierte Handeln Impulse zu geben. Wir verdanken diese Initiative dem Ehepaar Schirnig, Brigitte und Dr. Heinz Schirnig, die – mit Kennerschaft und Leidenschaft dem Museum zugetan – die Reflexion über das Museum intensivieren und verstärken wollten – und zwar nicht nur diskursiv, sondern durch die Unterstützung und Förderung neuer Zeigeformen und neuer expositorischer Versuchsanordnungen.
Das Auswahlverfahren des 2008/09 vergebenen Preis sah erstmals vor, dass ein Einzelvorschlag gemacht und dieser von der seit Jahren tätigen Jury bestätigt werden sollte. Die Bestätigung ist einstimmig erfolgt – die Bestätigung eines Vorschlags, der von mir gemacht werden durfte (aus welchen Gründen auch immer). Dies Verfahren ist unkonventionell, bietet freilich den Vorteil, eine persönliche, subjektive Färbung in den Jurierungsprozess zu bringen. Ich bin vor etwa einem Jahr der Aufforderung nach kurzem Zögern gern gefolgt – und dass mir ein Ja nicht schwer fiel, lag auch daran, dass ich kurz vor der Anfrage des Stiftungsvorstandes das Kolumba-Museum kennengelernt und dass mich der Gang durch die Räume beeindruckt hatte. Es war eine folgenreiche Beeindruckung und eine, die nicht nur an Zumthor lag.
Damit war Kolumba für mich ein starker hbs-Favorit. Dennoch hatte ich in dem Auswahlverfahren nicht nur Augen für das neue Kölner Haus. Ich besuchte Museen überall in der Republik; ich gebe zu, mit einer gewissen Bevorzugung des Südens, weil dort der hbs-Museumspreis noch nicht vergeben war. Doch trotz der Rekogniszierung nicht weniger Museen und Ausstellungen blieb es bei Kolumba. Ich gestehe, dass es vor allem persönliche Gründe waren, die mich bei meinem ersten Rundgang fasziniert hatten und die sich auch bei längerem Nachsinnen als valide erwiesen. Und diese sind es letztlich auch, die dann mein Votum für Kolumba bestimmten. Ich fand hier in diesem Haus drei Konstellationen, die ich immer als konstituierend für ein vorbildhaftes Museum angesehen habe. Das ist erstens die Vorstellung des Museums als Labor, das ist zweitens der Witz als Zweck und Form des kommunikativen Transfers im Museum und das ist drittens schließlich die Ansicht des Museums als Ort der Herausforderung. Dies waren und sind Überlegungen, die ich in den mehr als 30 Jahren Theorie und Praxis meiner Tätikeit im Museum immer wieder angestellt habe und die mir in Kolumba in perfekter Form verwirklicht gegenüber treten. Die Idee des Museums als Labor lernte ich in den 1960ern von Claude Lévi-Strauss kennen, definiert und formuliert in seiner »Strukturalen Anthropologie« und ansatzweise realisiert im „Musée de l’homme“, im »Musée des Arts et Traditions Populaires« und im Gare d’Orsay. Musée laboratoire heißt: wechselnde Installationen, experimentelle Anordnungen, Verflechtung von Material- und Mentalprüfungen, Kontakt zur Wissenschaft (genauer: zu den Wissenschaften) – und vor allem die Behandlung der Museumsdinge als epistemische, die Erkenntnis fördernde Dinge. All dieses sehe ich in Kolumba: den Exponatwechsel, die Variation der Anordnungen, die Präsentation der Dinge in immer wieder geänderten Befragungs- und Beziehungssituationen. Es ist eine Epistemologie des Konkreten, die vorgeführt wird.
Gewitzt sollen die Besucher aus dem Museum herausgehen, dies war eine Forderung Walter Benjamins aus den 1920ern, in denen er sich intensiv mit Fragen der Vermittlung und Popularisierung im Museum auseinandergesetzt hatte. Nicht gelehrter, sondern gewitzter, also nachdenklich und im Bewußtsein voller Gegenwärtigkeit, sensibel und urteilssicher sollte der Museumsbesuch machen. Und dieser Gewitztheit meine ich hier in diesem Haus zu begegnen: der Besucher wird neugierig und sensibel, kompetent in der Dechiffrierung von unbekannten Zusammenhängen und Kombinatoriken. Formen des Symbolverständnisses und des Spiels mit ihnen werden eingeübt und zur versierten Kompetenz. Witz bezeichnet bei Benjamin Verstandesschärfe, erworben über die sinnliche Erkenntnis. Er entsteht situativ, so wie das »Lernen en passant« das Spezifikum der Benjaminschen Wahrnehmung im Museum ist. Interessant ist, dass vor wenigen Wochen erst Wolfgang Pehnt in seinem Lob der Kolumba-Architektur ebenfalls an die didaktischen Prinzipien von Benjamin erinnert hat: das ‚beiläufige Bemerken‘ sei ihm wichtiger als das ‚angestrengte Aufmerken‘. Auch hier wieder: Was für die Architektur gilt, ist konstitutiv für die kuratorische Praxis.
Dann ist mir eine dritte für die Wirkung des Museums relevante Denkfigur in Kolumba aufgefallen – und zwar die Rolle der Herausforderung. Mit ihrer Bedeutung war ich zum ersten Mal konfrontiert worden durch den klugen Essay, den Hans Magnus Enzensberger 1960 seinem »Museum der modernen Poesie« vorangestellt hatte. Dort heißt es: »Das Wesen des Museums als eines Ortes der Tradition ist nicht Konsekration, sondern Herausforderung«. Kolumba ist solch ein Ort der Herausforderung, aber eben auch der Tradition. Er ist beides in einem – und das macht seine Kraft und Wirkung aus. Das Museum soll, noch einmal Enzensberger, „nicht mumifizieren, sondern verwendbar machen“.
Das sind drei subjektiv gewonnene Eindrücke, die sich beim Besuch von Kolumba eingestellt haben. Bei wiederholten Besuchen und beim Nachsinnen über Kolumba, wie es ja hier in diesen Verfahren die von mir erwartete Aufgabe war, sind aus ihnen Argumente geworden, ich denke gute Argumente für eine Auszeichnung der Kolumba-Kuratoren mit dem Museumspreis der Kulturstiftung hbs.

ps: Der Laudatio am 5. 3. 09. spontan vorangestellt waren Bemerkungen, die durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs veranlasst waren. Er war zwei Tage zuvor erfolgt und überschattete die Preisverleihung. Der Schock der Dienstagkatastrophe war auch am Donnerstag, dem 5. März, noch deutlich spürbar. Die Bemerkungen erinnerten nicht nur an die vielen Arbeitskontakte, die Diözesanmuseum und Archiv gerade auch in der Phase der Neukonzeption verbunden hatten, sondern auch an die gedächtniskulturellen Verpflichtungen, die beiden Institutionen gemeinsam sind – Bewahrung, Sicherung und Deutung des mobilen (und deshalb besonders gefährdeten) Teils des kulturellen Erbes in seiner materiellen Form. Gemäß der Überlieferungstheorie des Historikers Arnold Esch produziert Geschichte nicht nur Überlieferungen, sondern vernichtet sie auch - gewaltsam, mutwillig, absichtsvoll, fahrlässig etc. Und weil dies so ist, plädiert Esch dafür, dass wir unsere Vorstellungen von den Überlieferungsformen des kulturellen Erbes, seiner Bewahrungs- und Verwendungsstrategien immer wieder neu definieren und ihr Verständnis einer dauernden kritischen Überprüfung unterziehen sollten – gerade auch in Anbetracht solch desaströser Verlusterfahrungen, wie sie das Kölner Unglück darstellt. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Museumspreises an Kolumba waren dessen Umfang und Folgen noch nicht einmal annäherungsweise abzusehen. Fest stand allerdings schon zwei Tage nach der Katastrophe, dass Köln nicht nur real einen »Gedächtnisort«, sondern auch mental eines der Kraftfelder seiner politischen und kulturellen Identität verloren hatte. So gesehen waren auch die am 5. 3. in Kolumba vorgetragenen Überlegungen ein Beitrag zur stets nötigen Reflexion über das Verständnis der Gedächtnisorte Archiv und Museum. In Kolumba wurde am Abend des 5. 3. ein Gewinn im Umgang mit dem kulturellen Erbe gefeiert. Der Verlust, den das Archiv am 3. 3. erlitten hatte und der bis heute (21. 3.) in seinem Ausmaß und seinen Ursachen nicht einzuschätzen ist, war damit jedoch nicht verdrängt, sondern er stand, ganz im Gegenteil, diskurs- und stimmungsbeherrschend im Raum.

Gottfried Korff ist Professor emer. für Empirische Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland Institut der Universität Tübingen

© Kolumba und Autor 2009
Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit Quellenangabe
 
www.kolumba.de

KOLUMBA :: Texte :: Museum im Gegensinn (2009)

Gottfried Korff
Ein Museum im Gegensinn
Versuch einer Laudatio auf das Kuratorenteam von Kolumba

Laudatio anlässlich der Verleihung des Museumspreis 2009 der Kulturstiftung hbs an das Kuratorenteam von Kolumba, 5. März 2009.

Wir sind in einem Haus, dem es an Anerkennung nicht mangelt. Seit seiner Eröffnung vor nicht einmal anderthalb Jahren hat es Aufmerksamkeit, breite Aufmerksamkeit gefunden. Es ist geradezu zur Metapher einer neuen Sicht auf das Museum geworden, einer Sicht, die durch wachsende museologische Reflexion gekennzeichnet ist. Diese neue Sicht lässt sich als Reaktion auf einen lang anhaltenden, bis heute ungebremsten Boom lesen. Er hat in den letzten Jahren zu einer historisch unvergleichlichen Karriere des Museums geführt. Jüngst hat der Soziologe Heiner Treinen, Nestor der Museumsforschung in Deutschland, vom Museum als der - nach den elektronischen Medien – am stärksten expandierenden kulturellen Institution im nordatlantischen Kulturkreis gesprochen. Ganz zweifellos ist auch Kolumba ohne den Boom nicht zu denken. Aber wie aus dem ehrwürdigen Diözesanmuseum mit Kolumba ein Museum im Gegensinn, eine eigensinnige Kritik an den Mechanismen des Booms geworden ist , ist mutig und staunenswert, vielgerühmt und beispielgebend – und zwar als Architektur und als expositorisches Format, so wie es das Kuratorenteam erdacht und erprobt hat und schon zum zweiten Mal gekonnt und erfolgreich vorführt.
Die kuratorische Leistung steht, so ist die Meinung der Jury dieser Auszeichnung, gleichranging und gleichwertig neben der architektonischen Tat. Diese hat ihren Preis bereits gefunden, wie zur Zeit vor aller Augen, im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, sichtbar ist – in einer Ausstellung, die Peter Zumthor und Kolumba als Träger des Deutschen Architekturpreises 2008/09 gewidmet und noch bis zum 15. März zu sehen ist. Was die Architekturkritik an Zumthors Werk in hohen Tonlagen lobt, dass nämlich Kolumba eine Absage an die zunehmende Verspektakelung der Architektur darstelle, dass mit Kolumba Front gegen den Bilbao-Effekt gemacht werde, das gilt auch für das kuratorische Prinzip. Es beruht auf einem Konzept, das aus dem Wechselspiel von Architektur und musealer Installation seine impulsgebenden Energien bezieht.
Es ist eine symbiotische Konstellation, bei der das Eine auf das Andere verweist und das Eine das Andere produktiv herausfordert. Was an diesem Konzept beindruckt, ist, dass es gleichermaßen inspiriert und diszipliniert gegen den Mainstream der aktuellen Museumskultur Stellung bezieht, genauso wie es die Logik der Zumthorschen Kolumba-Architektur tut. Sie verweigert sich dem Fumagalli-Trend, einem Trend, der nach dem Schweizer Architekturtheoretiker Paolo Fumagalli benannt ist und der besagt, dass der expansive Museumsbau der letzten Jahre immer mehr Event-Räume und Zirkulationsflächen geschaffen hat – auf Kosten der Depots, der Studiensäle, der Lesezimmer, der Ding- und Bildinstallationen, die sich dem langen und ruhigen Blick aussetzen, also exakt jener Raumangebote, denen Kolumba hohen Rang beimisst. Konzentration und Reduktion rangiert vor Ausdehnung und Entgrenzung. So huldigt das hier praktizierte kuratorische Selbstverständnis einem Prinzip, das vor einiger Zeit von dem Kunsthistoriker Hans Belting in der Formel vom »Museum als eines Ortes nicht der Sensation, sondern der Reflexion« gefasst worden ist. Das entspricht der Askese und dem Purismus, die die Architekturkritik an Kolumba gerühmt hat. Und genau dies Prinzip kommt in den disziplinierten Raumeinrichtungen zur Geltung. Obwohl es um die kognitive und ästhetische Wirkung des Raumes weiß, betreibt das Museum keinen spektakelhaften Kult des Raumes, sondern lässt die Exponate mit ihren je eigenen Anmutungsqualitäten zu ihrem Recht kommen. Ungestört durch Erläuterungen und Textkommentare wird an die sinnliche Erkenntnis - und nicht anderes heißt ja aisthesis - appelliert.
Kolumba ist in der Tat ein »Ort der Wahrnehmung«, wie es eine kuratorische Selbsterklärung im Rückblick auf das erste Jahr feststellt, ein Ort, an dem Formen der Wahrnehmung eingeübt, geschärft und verfeinert werden – ruhig und unaufgeregt, jedoch gelenkt von Umsicht und Inspiration, eine Inspiration, die einerseits vom empfindsam wachen Blick auf die Gegenwart, andererseits vom informierten, ja gelehrten Blick in die Geschichte der Bilder und des Wissens um deren Wirkungen gekennzeichnet ist. Das zeigt sich auch an den museumshistorischen Erinnerungen, die kenntnisreich und deshalb beziehungsreich eingespielt werden. Ein Beispiel dafür ist etwa die Kunst- und Reliquienkammer, bei deren Betrachtung wir ein Bild davon erhalten, was wir nicht mehr sind, aber von dem unsere Blickweisen, Wahrnehmungen und Perspektiven immer noch geformt werden. Vor allem vermittelt die Kunst- und Reliquienkammer die tragende Idee des europäischen Museums, so wie sie von Peter Brown, dem britischen Mittelalterhistoriker dargetan worden ist. In seinem Buch »The Cult of the Saints: Its Rise and Function in Latin Christianity« hat er gezeigt, wie stark die Vorstellung von Authentizität, die Europas Dingkultur bis heute prägt, vom Reliquienkult bestimmt ist; und das Zwischen- und Bindeglied ist die Schatz- und Wunderkammer und deren Folgewirkung für die Entwicklung der europäischen Museumsidee.
Nicht »Wunderkammer«, um theologische Missverständnisse zu vermeiden, heißt der Raum in Kolumba, sondern Armarium (=Rüst- und Gerätekammer). Er bietet sich als inszenatorisch feste Installation – im Unterschied zu den Beziehungsspielen, die in den anderen Räumen mit ihren jährlich wechselnden Bildarrangements getrieben werden. Damit erinnert es an die grundlegende museumshistorische Bedeutung der Kunst- und Reliquienkammer – nicht lehrhaft, explizit und angestrengt, sondern eher beiläufig durch Sicht - und Beziehungskontakte. So wie es auch - zweites museumshistorisches Beispiel - an das Wechselverhältnis von Deponieren und Exponieren erinnert, das tief in die Geschichte des europäischen Museums eingeschrieben ist. Zwar ist die fast explosionsartige expositorische Erweiterung des Museumstätigkeit vor unseren Augen erfolgt, in den Jahrzehnten um die Jahrtausendwende, die wir gerade hinter uns haben, doch eine produktive Beziehung zwischen Bewahren und Zeigen, und zwar einem lebendigen Zeigen, begleitet die europäische Museumsgeschichte von ihren Anfängen an, selbst in jenen Jahrhunderten, die den Begriff des Museums, jedenfalls im heutigen Sinn, noch nicht kannten. Auf dieses Nebeneinander von im Museum schlafender Substanz und in variierenden Ausstellungen aufgeweckter Materie macht die Kolumba-Kuratie aufmerksam.
Das schöne, aufschlussreiche Beispiel von der im Museum schlafenden Substanz und der im Zeigen wachgeküssten Materie stammt aus einem der frühen Museumsessays Vladimir Nabokovs, der ins Kolumba-Jubiläumsheft aus dem Jahr 2003 aufgenommen worden ist und ein Beleg für die lange Suche nach einem besonnenen und innovativen Museumskonzept ist, wobei die Innovation durchaus auch aus den Traditionen der Institution, um die es geht, Impulse und Energien bezieht. Deponieren und Exponieren – beide Begriffe umschreiben das Programm von Kolumba. Museumsarbeit besteht hier in zwei unterschiedlichen, aber zusammenhängenden Modi – einmal im Modus der Potentialität (als umfassendes Depot der Bild- und Sachkultur, hier tief im Keller eingelagert), zum anderen im Modus der Aktualität (als dem von der Gegenwart neu perspektivierten Bestand an Zeichentägern im Depot, der ständig ergänzt wird). Dies geschieht in Kolumba vorzugsweise mit zeitgenössischer Kunst, Kunst von international hohem Rang: Bill Fontana, Richard Serra, Georges Rouault, Rebecca Horn und, und, und. So entstehen ungewöhnliche Dialoge quer durch die Jahrhunderte. Da werden Kontakte gesucht zur Wissenschaft (etwa in Manos Tsangaris Low-Tech-Machine), zum Alltag (so in Jannis Kounellis Tragedia Civile), zur Literatur (in Serras Sulptur) oder zur Politik (wie in Marcel Odenbachs DVD-Projektion). Man spürt auch bei diesen Installationen von 2008/09, dass die kuratorische Arbeit von der Lust an der analytischen Anstrengung, am dialektischen Spiel, an der permanenten Reflexion durchflochten ist.
Neues spiegelt sich im Alten, Altes wird im Neuen gebrochen und neu gesehen. Impulse aus der Gegenwart werden aufgenommen oder konterkariert. Kolumba schöpft aus dem Erbe, um Maß zu gewinnen, aber auch um selbstbewußt Widerrede gegen den kalkulierten Bilderterror einer visuell aufgeladenen Umwelt zu leisten. Dies alles geschieht mit kuratorisch leichter Hand – alles ist sinnlich, zugänglich, ansprechend, ohne Thesendruck und ohne Beweiszwang, aber gescheit und kundig arrangiert. Man merkt dem Gestaltungskonzept an, dass es in Wissen, in Deutungskompetenz und in Urteilssicherheit gründet. So steht Kolumba für ein Museumskonzept, das nicht allein der Bewahrung und Traditionssicherung (was es schon seit mehr als 150 Jahren tut), sondern auch der Kontemplation und Herausforderung dient. Was sich in immer wieder modifizierten, ja im Wortsinn ver-rückten Zuordnungen präsentiert, wirkt wie eine GPS-Beobachtungsstation in der allgemeinen Bilderflut, die uns umgibt. Nicht von ungefähr hat man die gegenwärtige, im September 2008 eröffnete Installation einen »Ort der Entschleunigung« genannt. Mit Mut und Konsequenz scheint Kolumba sich zu einer führenden Einrichtung im Umgang mit Bildern machen zu wollen, wobei »Bild« als eine offene Kategorie verstanden wird.
Kolumba ist ein überzeugendes, und wie man hört, auch vom Besucherzuspruch her erfolgreiches Museum. Es ist ein Modell, welches aufgrund seiner einfallsreichen und kenntnisreichen Dynamik, seiner Solidität und selbstreflexiven Sicherheit eine Auszeichnung und Würdigung verdient. Und dass diese Auszeichnung in Form des hbs – Museumspreises geschieht, ist kein Zufall, denn dabei handelt es sich um einen Preis, der von den ähnlichen Motiven und Prinzipien und dem gleichen Willen wie das Kolumba-Konzept angetrieben ist. Fast könnte man den Eindruck haben, dass der Museumspreis der hbs - Kulturstiftung eigens für Kolumba erfunden worden ist. Dabei ist der Preis schon etwas mehr als zehn Jahre alt und schon mehrmals verliehen worden – an Einrichtungen, die durch neue, zugleich kreative wie fundierte Präsentationen auf sich aufmerksam gemacht haben. Das waren ein naturgeschichtliches Museum, das mit gleichermaßen poetisch wie provokanten Modellen arbeitet, ein Wissenschaftsmuseum, das am Beispiel der Mathematik neue Strategien des PUSH, des public understanding science and humanities erprobt, und ein Literaturmuseum, das mit seiner szenographischen Gestaltung feste Raumkonturen auflöst und so aus der vielgescholtenen Flachware so etwas wie interaktive Dingarrangements schafft.
Der Museumspreis der hbs-Kulturstiftung ist also nicht einfach ein Museumspreis, sondern einer, der erstens konsequent auf museographisch Innovatives ausgerichtet ist und zweitens ausdrücklich der Kuratorentätigkeit gilt. »Vor allem werden«, so erläutert die den Museumspreis organisierende Stiftung ihren Zweck, »Ausstellungen prämiert, in denen ungewöhnliche Ideen verwirklicht werden, Ideen, denen Ästhetik und Didaktik ein individuelles Gesicht geben«. Und präzisierend heißt es: »Die Kulturstiftung konzentriert ihre Mittel auf die Vergabe eines Preises für Kuratoren und Ausstellungsmacher«. Es ist ein Preis, der ebenfalls aus dem Boom des Museums hervorgegangen ist, der aber – die irritierenden Auswirkungen des Booms vor Augen – darauf aus war und ist, neue Formate und neue Konzepte zu befördern, und zwar kluge, überlegte, eben reflektierte Formate – entsprechend dem Beltingschen Plädoyer von 2002, dass sich das Museum als Ort nicht der Sensation sondern der Reflexion zu begreifen habe.
Der Museumspreis der Kulturstiftung hbs ist ein Preis, hinter dem die Liebe zum Museum steht, vor allem aber auch das entschiedene Interesse, das Museum immer wieder an seine Potentiale, an seine didaktischen und ästhetischen Potentiale zu erinnern. In der Hochphase des Booms 1989 wurde der Preis gestiftet, als eine Intervention, um dem Nachdenken über das Museum und über das in ihm praktizierte Handeln Impulse zu geben. Wir verdanken diese Initiative dem Ehepaar Schirnig, Brigitte und Dr. Heinz Schirnig, die – mit Kennerschaft und Leidenschaft dem Museum zugetan – die Reflexion über das Museum intensivieren und verstärken wollten – und zwar nicht nur diskursiv, sondern durch die Unterstützung und Förderung neuer Zeigeformen und neuer expositorischer Versuchsanordnungen.
Das Auswahlverfahren des 2008/09 vergebenen Preis sah erstmals vor, dass ein Einzelvorschlag gemacht und dieser von der seit Jahren tätigen Jury bestätigt werden sollte. Die Bestätigung ist einstimmig erfolgt – die Bestätigung eines Vorschlags, der von mir gemacht werden durfte (aus welchen Gründen auch immer). Dies Verfahren ist unkonventionell, bietet freilich den Vorteil, eine persönliche, subjektive Färbung in den Jurierungsprozess zu bringen. Ich bin vor etwa einem Jahr der Aufforderung nach kurzem Zögern gern gefolgt – und dass mir ein Ja nicht schwer fiel, lag auch daran, dass ich kurz vor der Anfrage des Stiftungsvorstandes das Kolumba-Museum kennengelernt und dass mich der Gang durch die Räume beeindruckt hatte. Es war eine folgenreiche Beeindruckung und eine, die nicht nur an Zumthor lag.
Damit war Kolumba für mich ein starker hbs-Favorit. Dennoch hatte ich in dem Auswahlverfahren nicht nur Augen für das neue Kölner Haus. Ich besuchte Museen überall in der Republik; ich gebe zu, mit einer gewissen Bevorzugung des Südens, weil dort der hbs-Museumspreis noch nicht vergeben war. Doch trotz der Rekogniszierung nicht weniger Museen und Ausstellungen blieb es bei Kolumba. Ich gestehe, dass es vor allem persönliche Gründe waren, die mich bei meinem ersten Rundgang fasziniert hatten und die sich auch bei längerem Nachsinnen als valide erwiesen. Und diese sind es letztlich auch, die dann mein Votum für Kolumba bestimmten. Ich fand hier in diesem Haus drei Konstellationen, die ich immer als konstituierend für ein vorbildhaftes Museum angesehen habe. Das ist erstens die Vorstellung des Museums als Labor, das ist zweitens der Witz als Zweck und Form des kommunikativen Transfers im Museum und das ist drittens schließlich die Ansicht des Museums als Ort der Herausforderung. Dies waren und sind Überlegungen, die ich in den mehr als 30 Jahren Theorie und Praxis meiner Tätikeit im Museum immer wieder angestellt habe und die mir in Kolumba in perfekter Form verwirklicht gegenüber treten. Die Idee des Museums als Labor lernte ich in den 1960ern von Claude Lévi-Strauss kennen, definiert und formuliert in seiner »Strukturalen Anthropologie« und ansatzweise realisiert im „Musée de l’homme“, im »Musée des Arts et Traditions Populaires« und im Gare d’Orsay. Musée laboratoire heißt: wechselnde Installationen, experimentelle Anordnungen, Verflechtung von Material- und Mentalprüfungen, Kontakt zur Wissenschaft (genauer: zu den Wissenschaften) – und vor allem die Behandlung der Museumsdinge als epistemische, die Erkenntnis fördernde Dinge. All dieses sehe ich in Kolumba: den Exponatwechsel, die Variation der Anordnungen, die Präsentation der Dinge in immer wieder geänderten Befragungs- und Beziehungssituationen. Es ist eine Epistemologie des Konkreten, die vorgeführt wird.
Gewitzt sollen die Besucher aus dem Museum herausgehen, dies war eine Forderung Walter Benjamins aus den 1920ern, in denen er sich intensiv mit Fragen der Vermittlung und Popularisierung im Museum auseinandergesetzt hatte. Nicht gelehrter, sondern gewitzter, also nachdenklich und im Bewußtsein voller Gegenwärtigkeit, sensibel und urteilssicher sollte der Museumsbesuch machen. Und dieser Gewitztheit meine ich hier in diesem Haus zu begegnen: der Besucher wird neugierig und sensibel, kompetent in der Dechiffrierung von unbekannten Zusammenhängen und Kombinatoriken. Formen des Symbolverständnisses und des Spiels mit ihnen werden eingeübt und zur versierten Kompetenz. Witz bezeichnet bei Benjamin Verstandesschärfe, erworben über die sinnliche Erkenntnis. Er entsteht situativ, so wie das »Lernen en passant« das Spezifikum der Benjaminschen Wahrnehmung im Museum ist. Interessant ist, dass vor wenigen Wochen erst Wolfgang Pehnt in seinem Lob der Kolumba-Architektur ebenfalls an die didaktischen Prinzipien von Benjamin erinnert hat: das ‚beiläufige Bemerken‘ sei ihm wichtiger als das ‚angestrengte Aufmerken‘. Auch hier wieder: Was für die Architektur gilt, ist konstitutiv für die kuratorische Praxis.
Dann ist mir eine dritte für die Wirkung des Museums relevante Denkfigur in Kolumba aufgefallen – und zwar die Rolle der Herausforderung. Mit ihrer Bedeutung war ich zum ersten Mal konfrontiert worden durch den klugen Essay, den Hans Magnus Enzensberger 1960 seinem »Museum der modernen Poesie« vorangestellt hatte. Dort heißt es: »Das Wesen des Museums als eines Ortes der Tradition ist nicht Konsekration, sondern Herausforderung«. Kolumba ist solch ein Ort der Herausforderung, aber eben auch der Tradition. Er ist beides in einem – und das macht seine Kraft und Wirkung aus. Das Museum soll, noch einmal Enzensberger, „nicht mumifizieren, sondern verwendbar machen“.
Das sind drei subjektiv gewonnene Eindrücke, die sich beim Besuch von Kolumba eingestellt haben. Bei wiederholten Besuchen und beim Nachsinnen über Kolumba, wie es ja hier in diesen Verfahren die von mir erwartete Aufgabe war, sind aus ihnen Argumente geworden, ich denke gute Argumente für eine Auszeichnung der Kolumba-Kuratoren mit dem Museumspreis der Kulturstiftung hbs.

ps: Der Laudatio am 5. 3. 09. spontan vorangestellt waren Bemerkungen, die durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs veranlasst waren. Er war zwei Tage zuvor erfolgt und überschattete die Preisverleihung. Der Schock der Dienstagkatastrophe war auch am Donnerstag, dem 5. März, noch deutlich spürbar. Die Bemerkungen erinnerten nicht nur an die vielen Arbeitskontakte, die Diözesanmuseum und Archiv gerade auch in der Phase der Neukonzeption verbunden hatten, sondern auch an die gedächtniskulturellen Verpflichtungen, die beiden Institutionen gemeinsam sind – Bewahrung, Sicherung und Deutung des mobilen (und deshalb besonders gefährdeten) Teils des kulturellen Erbes in seiner materiellen Form. Gemäß der Überlieferungstheorie des Historikers Arnold Esch produziert Geschichte nicht nur Überlieferungen, sondern vernichtet sie auch - gewaltsam, mutwillig, absichtsvoll, fahrlässig etc. Und weil dies so ist, plädiert Esch dafür, dass wir unsere Vorstellungen von den Überlieferungsformen des kulturellen Erbes, seiner Bewahrungs- und Verwendungsstrategien immer wieder neu definieren und ihr Verständnis einer dauernden kritischen Überprüfung unterziehen sollten – gerade auch in Anbetracht solch desaströser Verlusterfahrungen, wie sie das Kölner Unglück darstellt. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Museumspreises an Kolumba waren dessen Umfang und Folgen noch nicht einmal annäherungsweise abzusehen. Fest stand allerdings schon zwei Tage nach der Katastrophe, dass Köln nicht nur real einen »Gedächtnisort«, sondern auch mental eines der Kraftfelder seiner politischen und kulturellen Identität verloren hatte. So gesehen waren auch die am 5. 3. in Kolumba vorgetragenen Überlegungen ein Beitrag zur stets nötigen Reflexion über das Verständnis der Gedächtnisorte Archiv und Museum. In Kolumba wurde am Abend des 5. 3. ein Gewinn im Umgang mit dem kulturellen Erbe gefeiert. Der Verlust, den das Archiv am 3. 3. erlitten hatte und der bis heute (21. 3.) in seinem Ausmaß und seinen Ursachen nicht einzuschätzen ist, war damit jedoch nicht verdrängt, sondern er stand, ganz im Gegenteil, diskurs- und stimmungsbeherrschend im Raum.

Gottfried Korff ist Professor emer. für Empirische Kulturwissenschaft am Ludwig-Uhland Institut der Universität Tübingen

© Kolumba und Autor 2009
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